27. März 2023 — Medienmitteilung

Nachhaltige Schokolade bleibt ein süsser Traum

Schweizer Schokoladenunternehmen und -retailer landen im internationalen Mittelfeld. Die «Chocolate Scorecard 2023», welche durch die NGO «Be Slavery Free» umgesetzt und von einer Gruppe internationalen NGOs kommuniziert wird, bewertet weltweit 72 Schokoladenunternehmen nach verschiedenen Nachhaltigkeitskriterien wie Entwaldung, Menschenrechtsverletzungen oder Transparenz. Kakao ist weltweit einer der Hauptverursacher der Waldzerstörung und damit starker Treiber der Zwillingskrise von Klimakrise und Biodiversitätsverlust.

©
Copyright WWF International
  • Nur 11 Prozent der Schokoladenunternehmen können vollständig zurückverfolgen, woher ihr Kakao stammt. Ohne dieses Wissen sollten sie nicht mit dem Etikett «Nachhaltigkeit» brüsten  – wie dies heute viele tun.
  • 91 Prozent der Unternehmen verzichten gemäss eigener Bestimmungen auf Abholzung von Wäldern, aber nur die Hälfte davon ergreift auch konkrete Massnahmen, um dies bei ihren Zulieferern sicherzustellen.
  • Nur 6 Prozent der Kinder, die schlimmer Kinderarbeit ausgesetzt sind, werden identifiziert.

Zitat: Romain Deveze, Waldexperte beim WWF Schweiz
«Alle Unternehmen müssen sicherstellen, dass ihre eigene Lieferketten wirklich nachhaltig sind. Und auch die ihrer Zulieferer. Frei von Abholzung und frei von Menschenrechtsverletzungen.»

Kakao ist weltweit einer der Hauptverursacher der fortschreitenden Entwaldung. Westafrika – mit der Elfenbeinküste und Ghana als den beiden grössten Produzenten – ist für drei Viertel der weltweiten Produktion verantwortlich. Die beiden Länder haben in den letzten 60 Jahren den grössten Teil ihrer Waldflächen verloren: rund 94 Prozent in der Elfenbeinküste und 80 Prozent in Ghana, wobei ein Drittel dieser Waldverluste durch Kakaoanbau verschuldet ist. Wälder sind eine entscheidende natürliche Ressource gegen die Klimakrise, da sie sowohl Kohlenstoff aufnehmen als auch speichern. Mit der Zerstörung der Wälder werden auch die Lebensräume vieler Pflanzen und Tiere zerstört. Bereits heute hat die Abholzung der afrikanischen Wälder einen Grossteil des natürlichen Lebensraums der Menschenaffen zerstört.

Von den 53 Unternehmen, welche auf die Anfrage für die aktuelle «Chocolate Scorecard» geantwortet haben, verfügen 48 über Regeln zur Nichtabholzung. Diese verpflichten ihre Lieferanten, Kakao aus Gebieten zu beziehen, in denen keine Zerstörung von Wäldern stattfindet. Aber nur die Hälfte hat Erwartungen für Verbesserungen an ihre Lieferanten, einschliesslich der Möglichkeit des Ausschlusses bei fortgesetzter Nichteinhaltung formuliert. Nur 11 Prozent der untersuchten Unternehmen verfolgen ihren Kakao bis zu seinem Ursprung zurück, ausserdem werden durchschnittlich 40 Prozent des Kakaos indirekt eingekauft. Das heisst, Konsument:innen wissen nicht wirklich, woher der Kakao ihrer Schokolade stammt. Die Unternehmen müssen konkrete Massnahmen für die Zusammenarbeit mit ihren Lieferanten festlegen, um die Herkunft ihres Kakaos zu erfassen. Nur so werden die «Nachhaltigkeitsclaims» der Unternehmen glaubwürdig.

Nicht nur die Natur, sondern auch die Menschen brauchen mehr Schutz
Damit Schokolade nachhaltiger wird, müssen die Kakaobauern und ihre Familie fair vergütet werden. Rund die Hälfte der teilnehmenden Unternehmen im «Chocolate Scorecard» gibt an, einen sogenannten «Referenzpreis für ein existenzsicherndes Einkommen» eingeführt zu haben. Die meisten Unternehmen aber zahlen diesen Preis für einen grossen Teil ihrer Kakaoeinkäufe nicht. Ein existenzsicherndes Einkommen ist das jährliche Nettoeinkommen, das eine Kakaobauernfamilie benötigt, um einen angemessenen Lebensstandard zu führen.

Während viele Kakaobauer:innen schlecht bezahlt sind, kommt es für die Schwächsten noch schlimmer. Der vom US-Arbeitsministerium in Auftrag gegebene «NORC-Report 2020» ergab, dass rund 1,5 Millionen Kinder in der Kakaoproduktion in der Elfenbeinküste und Ghana arbeiten, wobei 95 Prozent aufgrund der Gefährlichkeit ihrer Tätigkeit den schlimmsten Formen der Kinderarbeit ausgesetzt sind. Nach Angaben der untersuchten Unternehmen in der «Chocolate Scorecard», wurden 1,3 Millionen Kakaoanbauhaushalte in ein Programm zur Überwachung von Kinderarbeit einbezogen. In diesen Haushalten wurden im vergangenen Jahr die geringe Zahl von 110’000 Fälle schlimmster Kinder-arbeit festgestellt. Diese Zahlen unterscheiden sich erheblich von den geschätzten 1,4 Millionen Kindern aus dem NORC-Report, die sich in schlimmsten Formen der Kinderarbeit befinden. Aus dieser Differenz lässt sich ableiten, dass nur etwa 6 Prozent der Kinder, die schlimmsten Formen der Kinderarbeit ausgesetzt sind, identifiziert werden und ihnen folglich auch nicht geholfen wird.

Schokoladeland Schweiz im Mittelfeld
Bei den für die Schweiz untersuchten Unternehmen und Retailern erreichte Halba das beste Resultat. Coop, Barry Callebaut, Lindt & Sprüngli, Mondelēz International mit Toblerone und Unilever landeten im breiten Mittelfeld. In der Schweiz sind noch viele weitere Schokoladenprodukte erhältlich, die nicht Schweizer Ursprung haben. Leider wurden nicht alle Schweizer Schokoladenunternehmen und -retailer in die Analyse miteinbezogen. Brisant für die Schweiz: Der Kakao-Fussabdruck der Schweiz macht drei Prozent des globalen Kakao-Fussabdrucks aus, was gemessen am Anteil der Schweiz an der Weltbevölkerung (0,1 Prozent) stark überproportional ist.

Gemäss WWF-Report «Importierte Abholzung» importiert die Schweiz mit 54 Prozent mehr als die Hälfte ihrer Kakaoprodukte aus Ländern mit hohem oder sehr hohem Risiko für Abholzung, schlechte Arbeitsbedingungen und Korruption. In der Elfenbeinküste, Ecuador, Nigeria, Peru, Indonesien und Madagaskar gehören diese Probleme zum Alltag der Kakaoproduktion. Die Menge an Kakaorohstoff, der für die Schweizer Importe benötigt wird, lag im Zeitraum 2015 bis 2019 im Durchschnitt bei über 95'000 Tonnen pro Jahr. Die geschätzte Landfläche, um die Nachfrage der Schweiz nach Kakao zu befriedigen, betrug im selben Zeitraum durchschnittlich über 300'000 Hektar pro Jahr.

WWF-Report «Importierte Abholzung»: https://www.wwf.ch/sites/default/files/doc-2021-03/WWF_Risky_business_GR%20revised.pdf

Kontakt: Christoph Kinsperger, Medienverantwortlicher, WWF CH, christoph.kinsperger@wwf.ch, +41 (0)78 749 88 14

«Chocolate Scorecard 2023»: https://www.chocolatescorecard.com

Medienkontakt zur «Chocolate Scorecard»-Analyse: Ruben Bergsma,+31 6 1415 5731, ruben.bergsma@choclolatescorecard.com

Die «Chocolate Scorecard»
Die «Chocolate Scorecard 2023» ist eine Zusammenarbeit zwischen NGOs, Unternehmen und Universitäten (die australischen Macquarie University und University of Wollongong und sowie die britische Open University) mit dem Ziel, die Industrie bei der Bewältigung sozialer und ökologischer Fragen im Zusammenhang mit Kakao zu analysieren. Zu diesem Zweck werden 72 Schokoladenunternehmen (43 Hersteller und Händler sowie 29 Einzelhändler) in Bezug auf die Nachhaltigkeitsaspekte Rückverfolgbarkeit und Transparenz, existenzsichernde Einkommen, Kinderarbeit, Entwaldung und Klima, Forstwirtschaft sowie Agrarchemikalien bewertet. Die Studie untersucht, wie Unternehmen in der Schokoladenlieferkette zur Verbesserung ihrer Nachhaltigkeitsziele beitragen. Die Chocolate Scorecard wurde erstellt, um die Unternehmen über ihr Abschneiden bei den wichtigsten Nachhaltigkeitsherausforderungen zu informieren und einen produktiven Dialog mit ihnen darüber zu führen. Die Scorecard bietet auch Orientierung für Konsument:innen, die sich über die Nachhaltigkeit von Schokolade informieren wollen. Die NGO «Be Slavery Free» begann 2014 mit der Bewertung von Zertifizierungsstandards und Programmen von Schokoladenunternehmen. Unabhängig davon hatten andere NGOs Schokoladenunternehmen in Bezug auf Nachhaltigkeit ebenfalls bewertet. Die NGOs beschlossen, ihre Kräfte zu bündeln. https://www.chocolatescorecard.com

*Anmerkung zum Datensatz: In der Schweiz sind noch viele weitere Schokoladenprodukte erhältlich, die nicht Schweizer Ursprung haben. Leider wurden auch nicht alle Schweizer Schokoladenunternehmen und -retailer in die Analyse miteinbezogen. Der WWF Schweiz war bei der Zusammenstellung der zu untersuchenden Unternehmen nicht involviert.