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05. September 2023

Das Schweigen der Vielfalt

Arten verschwinden lautlos. Vielleicht kommt der Schutz der Natur im Parlament deshalb viel zu oft zu kurz. Und dies trotz ihrem fatalen Zustand: Mehr als ein Drittel aller Tier- und Pflanzenarten in der Schweiz ist gefährdet oder bereits ausgestorben.

«Könnten Fische sprechen, würden sie längst schreien. Aber sie sind stumm und werden deswegen im Parlament nicht gehört.»

Die Ursachen sind bekannt. Während nur gerade 9,6 Prozent der Landesfläche geschützt sind, werden pro Sekunde 0,6 Quadratmeter Boden verbaut. Die wenigen Schutzgebiete, darunter Moore, Auen oder Trockenwiesen, sind oft in einem schlechten Zustand, und für ihren Unterhalt fehlt das Geld. Pestizide und Dünger vergiften Wasser und Böden. Die Klimakrise setzt die gestressten Ökosysteme zusätzlich unter Druck. Die überstrapazierte Natur – unsere Lebensgrundlage – leidet still.

Stille Wasser
Flüsse, Seen und Feuchtgebiete böten unzähligen Arten Raum zum Leben, gäbe es nicht die mehr als 170 000 Verbauungen. Die Hindernisse – viele davon kleine Wehre ohne Funktion – versperren Fischen den Zugang zu ihren Laichplätzen oder verhindern, dass sie bei hohen Wassertemperaturen in kühlere Gewässer ausweichen können.

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Baum über Fluss

Deshalb sind in der Schweiz 65 Prozent aller Fischarten bedroht und einige bereits ausgestorben, darunter Lachs und Meerforelle. Könnten Fische sprechen, würden sie längst schreien. Aber sie sind stumm und werden deswegen im Parlament nicht gehört. Im Zuge der Überarbeitung des Energiegesetzes versuchte das Parlament, die Vorschriften beim Restwasser auszuhebeln. Diese schreiben vor, wie viel Wasser unterhalb eines Kraftwerks fliessen muss. Bereits heute entsprechen die Vorgaben dem absoluten Minimum. Dieses noch weiter herabzusetzen, wäre für Fische und Wasserlebewesen tödlich. WWF-Gewässerexpertin Marine Decrey sagt es so: «Ein Bach ohne genügend Wasser ist für Wasser-Lebewesen schlicht unbewohnbar.»

Leise flüstert das Leben
Gleichzeitig wollen einige Politiker:innen den Schutz der Biotope von nationaler Bedeutung lockern. Was einem Stoss direkt ins Herz der Schweizer Natur gleichkäme. Denn Biotope machen nur gerade 2 Prozent der Landesfläche aus, bieten aber rund einem Drittel aller bedrohten Arten ein letztes Rückzugsgebiet.

Umweltverbände gelang es vorerst, die schlimmsten Entscheide gegen die Natur abzuwenden. «Aber gerade im Gewässer und Biotopschutz versuchen unsere Räte weiterhin, die Natur zu übergehen», erklärt Gewässerexpertin Marine Decrey vom WWF Schweiz, und sie versichert: «Wir bleiben dran.»

Vernetzen und schützen
Ein Lichtblick ist, dass die offizielle Schweiz das Weltnaturabkommen von Montreal unterstützt. Darin wird festgehalten, dass bis in sieben Jahren 30 Prozent der weltweiten Landfläche und der Ozeane unter Schutz gestellt werden sollen.

Hierzulande wären ein konsequenter Schutz und eine umfassende Revitalisierung unserer Gewässer wichtige Schritte hin auf dem Weg zu diesem Ziel. Denn gesunde, dynamische Gewässer sind die Lebensadern unserer Landschaft. Bäche und Flüsse durchziehen die Schweiz wie ein vielfach verzweigtes, riesiges Netz. Wenn sie geschützt werden und unverbaut fliessen, können sich Lebewesen frei in und an den Ufern dieser Gewässer hin und her bewegen.

Dies führt zu besser geschützten Gebieten und trägt dazu bei, dass bedrohte Arten den dringend benötigten Platz zum Leben zurückgewinnen. Zusätzlich erhöht der bessere Austausch die genetische Vielfalt der einzelnen Populationen.

Und nicht nur die Natur, wir alle sind auf gesunde Gewässer angewiesen. So versorgen sie uns unter anderem mit Trinkwasser, und sie ermöglichen die Bewässerung unserer landwirtschaftlichen Kulturen. Sie bilden ein plätscherndes Netz des Lebens.