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04. September 2023

Politik unter Strom

Wie ein Generalangriff auf den Naturschutz: So wirkte der Gesetzesvorschlag, den der Ständerat im Herbst 2022 in der Revision des Energiegesetzes festschreiben wollte. Kurz zusammengefasst sollten die Ausbauziele der erneuerbaren Energien Priorität haben vor allen Umweltbestimmungen.

«Alpine Solaranlagen wurden als Retter gesehen, ohne dabei Netzanschluss und schwierige alpine Baubedingungen hinreichend zu bedenken.»

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Patrick Hofstetter, WWF Schweiz

Für den WWF wie auch für umweltfreundliche Politiker:innen war dies ein völlig inakzeptabler Vorschlag. Ein zähes Ringen entspann sich daraus – ein Abwägen zwischen dem, was schützenswert ist, und dem, was einen sinnvollen Nutzen im Ausbau der Energieversorgung bringt. Noch ist offen, wie dieses Ringen ausgeht. Erst in der Herbst- oder Wintersession entscheidet sich, ob es gute Ideen – wie Solarstandards auf Parkplätzen und Gebäuden oder verstärkte Massnahmen für mehr Effizienz – tatsächlich auch in den Gesetzestext schaffen.

Knapp gescheitert
Die erste Hälfte der Legislatur war geprägt von der Arbeit an einem CO2-Gesetz. Dieses sollte die Klimaziele der Schweiz bis 2030 umsetzen, scheiterte schliesslich aber im Juni 2021 knapp in einer Referendumsabstimmung. Die vom Bundesrat daraufhin in Auftrag gegebene Revision des Gesetzes ist nach wie vor in der Beratung.

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Solarpanelen werden auf Dach installiert

Gleichzeitig wurde im Sommer 2021 darüber diskutiert, wie die Energiestrategie der Schweiz bis 2050 ausgestaltet werden soll. Werner Luginbühl, Präsident der Elcom, hatte eindringlich gewarnt: Die Stromimporte drohten ab 2026 um 70 Prozent einzubrechen, weil die Schweiz kein Stromabkommen mit der EU unterzeichnet hat. Dabei hätte das langsame Ausbautempo bei den erneuerbaren Energien eigentlich sogar eine Erhöhung der Importe erforderlich gemacht. Als dann noch der Angriff auf die Ukraine erfolgte, standen auch die noch verbleibenden 30 Prozent Importstrom plötzlich auf der Kippe. 

Von einer Strommangellage war die Rede. Begriffe wie Winterstrom und Nord Stream prägten plötzlich die Debatte. Bundesrat und Parlament standen unter Strom. Schnell musste gehandelt werden. Im Eilzugtempo wurden Massnahmen durchs Parlament gepeitscht. In bester Absicht formuliert, waren es doch oftmals Schnellschüsse. Alpine Solaranlagen wurden als Retter gesehen, ohne dabei Netzanschluss und schwierige alpine Baubedingungen hinreichend zu bedenken. Heute zeigt so manches dieser Vorhaben, dass die Auswirkungen auf die Natur zu gross sind, dass sie überdimensioniert geplant wurden oder von einer Umsetzung bis 2025 weit entfernt sind.

Die kommende Legislatur wird erneut aufreibend werden. Wenn Vertreter:innen von Mitte-Rechts – vor allem im Ständerat – weiterhin mit verfassungsrechtlich problematischen und einseitigen Vorschlägen den Abbau von Naturschutz vorantreiben, dann wird dies auf Kosten unserer letzten und wertvollsten Schutzgebiete gehen. Um es richtig einzuordnen: Auch der WWF unterstützt den Ausbau der erneuerbaren Energien. Er ist für effizientere Genehmigungsverfahren. Doch Energiewende und Schutz der Natur gehen Hand in Hand. Beides sichert unsere Lebensgrundlage.

Schweiz vor grossen Aufgaben
Das Ja zum Klimaschutzgesetz ist ein Auftrag ans Parlament. In den vergangenen Jahren hat die Schweiz regelmässig ihre Klimaziele verpasst, die sie sich gesetzt hat. Deshalb muss nun die drastische Reduktion von Emissionen im Fokus stehen. Die grösste Wirkung ist in den Sektoren Industrie, Flug- und Strassenverkehr und bei den Gebäuden – insbesondere beim Heizen – zu erreichen. Hier muss die Politik ansetzen und das aktuell in Revision stehende CO2-Gesetz entsprechend ausgestalten.

Die derzeit vom Bundesrat vorgeschlagenen Massnahmen im Gesetzesentwurf werden nicht ausreichen, um die Zwischenziele bis 2030 zu erreichen. Wenn die Schweiz ihren internationalen Verpflichtungen und dem Auftrag der Bevölkerung nachkommen will, heisst es auch in diesem Bereich: nachbessern.