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Kuh auf der Alp Firten in Bern, Schweiz
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29. Juli 2020

«Unsere Kühe fressen importiertes Futter»

Pestizide, Dünger und Tiere – unsere Landwirtschaft hat von alldem viel zu viel. Bringt der biologische Anbau die Lösung? Landwirtschaftsexperte Urs Niggli fordert im Interview mit dem WWF einen Wandel.

«Bei uns werden 15,4 Prozent der Agrarfläche biologisch angebaut, möglich wäre viel mehr.»

Wo steht die Schweiz bei der biologischen Landwirtschaft?
Urs Niggli: Die Schweiz war einst eine Pionierin, doch andere Länder wie Tschechien oder Österreich haben mittlerweile bei der biologisch angebauten Fläche die Nase vorn. Bei uns werden 15,4 Prozent der Agrarfläche biologisch angebaut, möglich wäre viel mehr. Immerhin haben wir den höchsten Pro-Kopf-Konsum von Bioprodukten.

Trotzdem: Bio kommt nicht aus der Nische ...
Global gesehen ist Bio eine absolute Nische. Nur 2 Prozent der Agrarfläche wird biologisch angebaut. Bio wächst überall, aber es bleibt eine Nische. Warum? Weil Bio-Produkte deutlich teurer sind: Die Bauern haben weniger Ertrag, mehr Arbeit und verwenden teurere Verfahren. Unkraut mechanisch zu bekämpfen ist viel teurer, als Herbizide zu verspritzen.

Doch auf diese Weise beschleunigt die konventionelle Landwirtschaft das Artensterben.
Dieser Artenverlust hat mehrere Ursachen. Einerseits wurde die Landschaft leergeräumt, um intensiver Landwirtschaft zu betreiben. Für viele Arten fehlen nun schlicht die Lebensräume. Auf dem Acker wachsen nur noch Nutzpflanzen, für Wildpflanzen hat es keinen Platz mehr. Dadurch verschwinden die Insekten – und mit ihnen die Vögel. Ein weiterer Grund sind die Pestizide: Sie wirken sich stark auf die Artenvielfalt aus. Sie können direkt giftig auf Nichtzielorganismen wirken oder indirekt: Spritzt der Bauer ein Herbizid, dann fehlt im Acker der Unterwuchs. Dieser ist für viele Lebewesen überlebenswichtig. Dazu kommt die Überdüngung durch den Viehmist. Durch den darin enthaltenen Stickstoff ist die Vegetation bei uns sehr armselig und monoton geworden. Unser Land hat den höchsten Stickstoff-­Eintrag pro Hektare in ganz Europa und vermutlich sogar weltweit. Die Überdüngung ist eine direkte Folge der überhöhten Tierbestände. Wir haben zu viele Nutztiere in der Schweiz, die zu viel Mist produzieren. Unsere Rinder fressen importiertes Soja-Futter aus dem brasilianischen Regenwald. Nur so sind diese unsinnig hohen Tierbestände in unserem Land überhaupt entstanden. Deshalb nimmt die Artenvielfalt ab.

In der Schweiz müssten wir den Fleischkonsum um 40 Prozent reduzieren.

Gibt es einen Weg zurück zu mehr Vielfalt?
Ich bin überzeugt, wir brauchen die biologische und die integrierte Landwirtschaft. Wir können nicht alles auf Bio umstellen, dazu bringt sie zu wenig Ertrag. Wir stecken in einem Dilemma. Die Verfechter einer intensiven Landwirtschaft sagen: Der Biolandbau ist schädlich, weil er zu viel Land benötigt. Die Bio-Verfechter sagen: Der Biolandbau ist der einzige Weg, um eine gute Bodenqualität und Artenvielfalt vor Ort zu garantieren. Was aber wäre die ideale Landwirtschaft? Weil der Bio-Landbau die natürlichen Ressourcen schont, möchte ich ihn noch etwas produktiver machen. Umgekehrt könnte man die integrierte Landwirtschaft mit Technologien oder Elementen aus dem Bio-Landbau umweltfreundlicher machen.

Dann plädieren Sie für zwei parallele Systeme in der Landwirtschaft?
Genau: Im Bio-Landbau geht es darum, die ökologischen Vorteile beizubehalten, aber noch produktiver zu werden und gleichzeitig die Defizite bezüglich Landschaftsvielfalt mit gezielten Massnahmen zu verbessern. Und die konventionelle Landwirtschaft muss viel umweltfreundlicher werden. Doch jede ökologischere Landwirtschaft führt zu Ertragseinbussen. Darum plädiere ich auch für Suffizienz: Wir müssen die Lebensmittel-Verschwendung halbieren. Dann muss man auch den Fleischkonsum radikal überdenken.

Müssen wir also alle Vegetarier werden?
Nein, so weit sollte man nicht gehen. Warum? Global gesehen sind 68 Prozent aller landwirtschaftlichen Nutzflächen einfach Grasland. Dieses setzen wir dank Wiederkäuern in Protein und Energie (z. B. Milchzucker und -fett) um und können es so nutzen. Meine globale Vision ist, dass von der gesamten Ackerfläche möglichst alles für die menschliche Ernährung verwendet wird. Und dass auf dem Grasland mit Wiederkäuern ohne Kraftfutter produziert wird.

Wie stark müssen wir den Fleischkonsum reduzieren?
In der Schweiz müssten wir den Fleischkonsum um 40 Prozent reduzieren. Das würde unserer Gesundheit guttun und der Ökologie. So kann man neue Produktionszweige fördern. Erbsen, Bohnen, Linsen und Kichererbsen lassen sich heute zu hochwertigen Lebensmitteln verarbeiten.

Ist das Potenzial für den Bio-Landbau in der Schweiz erschöpft oder könnte man noch mehr tun?
Angebot und Nachfrage entwickeln sich in einem Nischenmarkt nie harmonisch. Im Moment befinden wir uns in der Biolandwirtschaft in einer Phase der Überproduktion. Ich bin aber überzeugt, dass das Überangebot wieder aufgesaugt wird. Sowohl Bio Suisse wie auch der Handel hätten die grosse Aufgabe, neue Märkte zu erschliessen. So wurde der Gastronomie-­Bereich sträflich vernachlässigt. Mehr als 50 Prozent aller Mahlzeiten werden ausser Haus gegessen. Das ist ein gigantischer Markt, der nicht abgeschöpft wird.

Was meinen Sie, warum gibt es heute keine Lenkungsabgabe auf Pestizide?
Das Instrument wird nun breit diskutiert. Will man den Pestizideinsatz halbieren und den Düngereinsatz stark zurückzufahren, so sind wir auf Lenkungsinstrumente angewiesen. Das Problem ist, dass rasch jene auf den Plan treten, die sagen, dass nicht alle Pestizide gleich gefährlich sind. Aber warum beginnen wir nicht einfach mal? Ist das Instrument einmal geschaffen, können wir es laufend optimieren.

Was halten Sie von der Trinkwasser-Initiative?
Sie wirkt wie ein Hammer! Das kann gut oder schlecht gehen. Die Planung zur Ausrichtung der künftigen Landwirtschaftspolitik, bekannt als Agrarpolitik 22+, wurde von der Initiative stark beeinflusst. Bisher hatte noch niemand wirklich den Mut, die Lenkungsinstrumente umzusetzen. Welche Massnahme wir auch immer umsetzen, es gibt immer einige, die vom heutigen System profitieren. Reformen sind daher schwierig. Zum Glück werden aber im Zeitalter der digitalen Medien NGOs und sogar Einzelpersonen wie Franziska Herren von der Trinkwasser-Initiative besser gehört.

Geht die Agrarpolitik AP 22+ in die richtige Richtung?
Die AP 22+ bleibt ein Flickwerk. Sie hat aber spannende Elemente aufgenommen. Sie geht wichtige Probleme an wie die Artenvielfalt, den Pestizideinsatz und die Tierbestände. Und sie adressiert die Stickstoff­-Problematik durch Dünger. Nur sind die Vorschläge des Bundes halt wenig innovativ. Wir müssen neue Instrumente entwickeln. Bei den Pestiziden genügt eine Reduktion von 50 Prozent nicht, deshalb braucht es eine Lenkungsabgabe.

Der Schweizer Urs Niggli ist ein weltweit gefragter Bioforscher. Von 1990 bis März 2020 hat er das Forschungsinstitut für biologischen Landbau im aargauischen Frick geleitet.

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Landschaft im Frühling, Weinfelden, Thurgau, Switzerland

«Die AP 22+ bleibt ein Flickwerk. Sie hat aber spannende Elemente aufgenommen.»

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Bauernhaus in trockenem Feld

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Panda liegt auf Baum

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