12. April 2019 — Medienmitteilung

Trinkwasser-Initiative und Pestizid-Initiative: Weiter wie bisher ist keine Option

Gemeinsames Schreiben der IG Detailhandel Schweiz, des WWF Schweiz, des schweizerischen Vereins des Gas- und Wasserfaches und der Stiftung für Konsumentenschutz an die Mitglieder der Kommission für Wirtschaft und Abgaben des Nationalrates

Sehr geehrte Damen und Herren

Ihre Kommission berät am 15./16. April 2019 sowie voraussichtlich in Ihrer Sitzung von Mitte Mai 2019 die beiden Volksinitiativen «Für sauberes Trinkwasser und gesunde Nahrung – Keine Subventionen für den Pestizid- und den prophylaktischen Antibiotikaeinsatz» (18.096) und «Für eine Schweiz ohne synthetische Pestizide» (19.025).

Wir bitten Sie, den Initiativen einen substantiellen indirekten Gegenvorschlag entgegenzustellen, welcher den berechtigten Anliegen der Initiativen Rechnung trägt und diese adäquat auf gesetzlicher Ebene abhandelt.

Begründung:

Jährlich werden in der Schweiz über 2'000 Tonnen Pflanzenschutzmittel ausgebracht.[1] Im Durchschnitt macht dies pro Jahr mehr als 5 kg pro Hektare landwirtschaftliche Nutzfläche. Damit liegt der Verbrauch pro Hektare in der Schweiz deutlich über demjenigen von vergleichbaren Ländern wie z. B. Österreich mit 2,6 kg pro Hektare.[2] Rückstände von Pflanzenschutzmitteln finden sich denn auch im Grundwasser wieder. Gemäss Bundesamt für Umwelt liegen in intensiv ackerbaulich genutzten Gebieten die Konzentrationen solcher Rückstände (Pflanzenschutzmittel-Wirkstoffe und Pflanzenschutzmittel-Abbauprodukte) im Grundwasser an 70% der Messstellen über dem in der Gewässerschutzverordnung vorgeschriebenem Maximalwert für Pflanzenschutzmittel-Wirkstoffe von 0,1 μg/l.[3] Soeben kamen die Forschungsanstalt Eawag und das Oekotoxzentrum in einer Untersuchung zum Schluss, dass Schweizer Bäche viel zu viele Pestizide z.T. in ökotoxischen Konzentrationen weit über den gesetzlich zugelassenen Höchstwerten aufweisen.[4] Auch im Bereich des Stickstoffeinsatzes werden weiterhin grosse Überschüsse produziert.[5]

Die Schweizer Landwirtschaft und die gesamte Branche hat in den letzten Jahren bereits einiges unternommen, um den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln zu reduzieren und umweltgerechter und effizienter zu gestalten. Die oben genannten Zahlen illustrieren allerdings beispielhaft, dass die bisher getroffenen Massnahmen zur Reduktion des Pflanzenschutzmitteleinsatzes in der Schweiz nicht ausreichen, um bestehende ökologische Ziellücken zu schliessen. Es besteht vielmehr weiterhin dringender Handlungsbedarf. Will die Schweizer Landwirtschaft auch künftig am Markt erfolgreich sein, muss sie sich von der ausländischen Produktion abheben und Mehrwerte aufzeigen können. Die nachhaltige Produktion – auch in Bezug auf den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln – ist dabei ein solcher Mehrwert, der von den Konsumentinnen und Konsumenten zunehmend eingefordert wird. Die beiden Initiativen zeigen dies symptomatisch. Diese Entwicklung gilt es ernst zu nehmen.

Die Initiativen enthalten sehr weitgehende Forderungen, die zu einem grundlegenden Umbau der Land- und Ernährungswirtschaft führen würden mit möglichen Folgen für Produktvielfalt und Preise. Zudem müsste dieser Umbau in sehr kurzer Zeit umgesetzt werden. Die Initiativen haben aber auch das Potential zur Reduktion des Einsatzes von Pflanzenschutzmitteln und Stickstoff und somit zur Abwendung der bestehenden Umweltprobleme beizutragen. Die Unterzeichnenden sind der Überzeugung, dass die Ziele der Initiativen in Bezug auf eine Reduktion des Einsatzes von Pflanzenschutzmitteln mit einer abgestimmten, inkrementellen Vorgehensweise, die die Anpassungsfähigkeit der gesamten Branche berücksichtigt und fördert, erreicht werden können.

Bundesrat und Gesetzgeber sind deshalb jetzt gefordert, eine Kompromisslösung zu finden, die den Bedenken der Konsumentinnen und Konsumenten in Bezug auf den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln Rechnung trägt, ohne die landwirtschaftliche Produktion in der Schweiz übermässig zu belasten. Dafür braucht es einen substantiellen indirekten Gegenvorschlag zu den beiden Initiativen. Um den Erfolg der Schweizer Landwirtschaft am Markt auch in Zukunft sicherstellen zu können, gilt es zielführende, risikobasierte Lösungsansätze, die zur effektiven Senkung des Pflanzenschutzmitteleinsatzes und der Belastung von Grund- und Oberflächenwasser mit Pflanzenschutzmittelrückständen beitragen, auszuloten. Der bestehende Aktionsplan Pflanzenschutzmittel sowie die vorgesehene Verstärkung der agrarpolitischen Massnahmen zur Reduktion des Pflanzenschutzmitteleinsatzes und der Stickstoffeinträge im Rahmen der AP22+ sind diesbezüglich aus Sicht der Unterzeichnenden einerseits nicht genug rechtsverbindlich und andererseits im Falle der AP22+ überhaupt noch nicht beschlossen. Damit wird die Politik in einem Abstimmungskampf weder der tatsächlichen ökologischen Herausforderung noch den Anliegen der Konsumentinnen und Konsumenten gerecht.

Wir danken Ihnen für die Berücksichtigung unserer Anliegen.

Freundliche Grüsse

WWF Schweiz, Manuel Graf, Leiter Politik
IG Detailhandel Schweiz, Jürg Maurer, Leiter AG Binnenmarkt
Schweizerischer Verein des Gas- und Wasserfaches SVGW, Martin Sager, Direktor
Stiftung für Konsumentenschutz, Sara Stalder, Geschäftsleiterin

[1] Quelle: Bundesamt für Landwirtschaft
[2] Quelle: FAO
[3] Quelle: Bundesamt für Umwelt
[4] Quelle: Eawag
[5] Quelle: Bundesamt für Umwelt