Zurück
05. September 2023

Stillstand in der Agrarpolitik

Klima- und Biodiversitätskrise verlangen nach raschem, mutigem Handeln. Doch die Politik geht die massiven Umweltprobleme in der Landwirtschaft nicht an. Überdüngung, umwelt- und gesundheitsgefährdende Pestizide, schwindende Biodiversität: Es ist nicht nachhaltig, wie die intensive Landwirtschaft den Boden und die Gewässer in der Schweiz beansprucht.

«Eine mutlose Mini-Reform, die nicht geeignet ist, die gravierenden Umweltprobleme in der Landwirtschaft zu lösen.»

Ein «Weiter wie bisher» ist angesichts der Biodiversitäts- und Klimakrise keine Option. Das erkannte auch Agrarminister Guy Parmelin und schickte mit der neuen Agrarpolitik 22+ im Winter 2020 eine gute Reform ins Parlament. Seine Rechnung machte er jedoch ohne die Bauernschläue des Bauernverbands. Dieser versenkte den ihm nicht genehmen Gesetzesentwurf in der Folge mit einem Deal mit Economiesuisse: Dabei half der Bauernverband mit, die Konzernverantwortungsinitiative an der Urne zu bodigen, im Gegenzug legte sich die Wirtschaft für die Agrarlobby ins Zeug, um die Agrarreform an den Absender zu retournieren.

©
Planzen auf Acker

Zahnlose Reform
Zwei Jahre vergingen, bis ein neuer Vorschlag ins Parlament kam. Doch diesmal hat der Bundesrat dem Gesetzesentwurf vorsorglich alle Zähne gezogen. Eine mutlose Mini-Reform, die nicht geeignet ist, die gravierenden Umweltprobleme in der Landwirtschaft zu lösen. So sind keine gesetzlich verankerten Klimaziele und -massnahmen für die Land- und Ernährungswirtschaft vorgesehen, keine Verschärfung bei der Gülleausbringung, keine Verpflichtung, die Tragfähigkeit der Ökosysteme zu respektieren und auch keine finanzielle Unterstützung für landwirtschaftliche Betriebe, um eine Beratung für Biodiversitäts-Massnahmen in Anspruch zu nehmen. Heute wird keines der 13 Umweltziele in der Landwirtschaft erreicht – und mit dieser Reform, die praktisch ohne Änderungen das Parlament passierte, wird sich daran auch auf längere Sicht nichts ändern.

Es herrscht ein agrarpolitischer Stillstand auf Jahre hinaus. Die nächste Revision der Agrarpolitik ist erst für 2030 vorgesehen.

Ohne Natur keine Lebensmittel
Einziger Lichtblick: Als informellen Gegenvorschlag zu den Pestizid-Initiativen, die im Juni 2021 an der Urne abgelehnt wurden, beschloss das Parlament Absenkpfade zur Reduktion der Pestizid-Risiken und der Nährstoffe. So sollen die Risiken von Pestiziden bis 2027 um 50 Prozent reduziert werden und 15 Prozent weniger Nährstoffe in die Umwelt gelangen. Ein erster Schritt, denn nötig wäre eigentlich eine Stickstoff-Reduktion von 40 Prozent, um die Tragfähigkeit unserer Ökosysteme zu gewährleisten. Doch auch diese zaghaften Schritte für eine nachhaltigere Produktion werden im Parlament durch die Agrarlobby bekämpft. So etwa die Erhöhung von heute etwa 1 auf 3,5 Prozent an Flächen für die Biodiversität im Ackerland. Diese Massnahme ist essenziell, um den Pestizid-Einsatz zu reduzieren. Denn solche Biodiversitätsförderflächen im Ackerbau sind wichtig für nützliche Insekten, welche die Anfälligkeit auf Schädlinge reduzieren und die Bestäubung fördern.

Der Erhalt der Biodiversität sichert die Versorgung mit gesunden Lebensmitteln. Sie ist für die landwirtschaftliche Produktion von existenzieller Bedeutung. Artenreiche Lebensräume sind produktiver und widerstandsfähiger als artenarme. Und sie passen sich besser und schneller an den Klimawandel an.

Weniger Fleisch – mehr Gemüse
Aufgabe der Politik wäre es, die Resilienz und Anpassungsfähigkeit des landwirtschaftlichen Sektors an die Klimakrise zu stärken. Landwirtinnen und Landwirte sowie Konsument:innen sollen in ihrem Wandel unterstützt werden. Dieser muss in Richtung weniger Fleisch und mehr pflanzenbasierter Produktion und Ernährung gehen. Dabei gilt es, die eigentliche Grundlage der Lebensmittelproduktion – die Natur – zu schützen. Überdüngung, umwelt- und gesundheitsgefährdende Pestizide, schwindende Biodiversität: Die Politik muss ihre Verantwortung endlich wahrnehmen.