21. August 2025 — Medienmitteilung

Verpasste Chance für einen fortschrittlichen Pflanzenschutz

Die Wirtschaftskommission des Nationalrats hat die natur- und gesundheitsschädigende Pestizid-Vorlage 22.441 genehmigt. Fast zeitgleich verabschiedete der Bundesrat die Totalrevision der Zulassung für Pflanzenschutzmittel. Was Parlament und Bundesrat als Fortschritt verkaufen, ist in Wahrheit ein Rückschritt für Umwelt, Gesundheit und demokratische Kontrolle.

©
Landwirtschaft

Die parlamentarische Initiative 22.441 sieht vor, Pestizide aus sechs EU-Staaten in einem vereinfachten Verfahren zuzulassen – ohne ausreichende nationale Prüfung. Damit droht die Schweiz zum Sammelbecken für Pestizide zu werden, die in einzelnen EU-Ländern bereits verboten sind. Die nationale Souveränität bei der Zulassung würde aufgegeben, da die Schweiz als Nicht-Mitglied keinen geregelten Zugang zu den Informationen über die Produkte und kein Mitspracherecht über deren Zulassung hat. Was aufs Spiel gesetzt wird, sind die Schweizer Umwelt- und Gesundheitsstandards.

Trinkwasser und Natur unter Druck 
Besonders besorgniserregend ist, dass laut Erläuterungsbericht zur Vorlage angeblich „keine direkten Folgen auf die Gesellschaft“ bestehen. Diese Einschätzung ignoriert die realen Risiken für Trinkwasser, Biodiversität und die Gesundheit der Bevölkerung. Die nationale Gewässerbeobachtung von Bund und Kantonen (NAQUA)  zeigt deutlich, wie stark das Grundwasser durch Pestizidrückstände wie Trifluoracetat, welche zu den persistenten sogenannten Ewigkeitschemikalien zählen, belastet sind – mit Überschreitungen der Höchstwerte um ein Vielfaches.

Notfallzulassungen als neuer Standard?
Zusätzlich plant das Parlament alle kurzfristigen Zulassungen, sogenannte “Notfallzulassungen” aus den EU-Staaten zu übernehmen. Dies sind Zulassungen, die ohne reguläre Prüfung erfolgen und vielfach problematische Wirkstoffe in die schnelle Anwendung bringen. Eigentlich sollten diese Bewilligungen nur in Ausnahmesituationen eingesetzt werden, werden in der Schweiz und in manchen EU-Ländern aber immer mehr zum Normalfall.

Bundesratsrevision: Mehr Pestizide, weniger Schutz
Zeitgleich legt der Bundesrat die Totalrevision der Pestizidzulassungen vor, die bereits Ende Jahr in Kraft tritt. Diese bringt nur minimale Verbesserungen im Vergleich zum Entwurf, der zuvor in der Vernehmlassung war. Beispielsweise werden darin erste Schritte für eine vereinfachte Zulassung von Pflanzenschutzmitteln mit geringem Umweltrisiko eingeleitet und es sind automatische Verbote von besonders riskanten EU-Wirkstoffen vorgesehen, die in der EU bereits verboten sind. Aus Umweltsicht überwiegen aber die Rückschritte im Vergleich zum Status Quo. Die Revision wird dazu führen, dass viele zum Teil stark veraltete Pestizide in die Schweizer Umwelt gelangen werden - zulasten des Gewässerschutzes, der Umwelt, des Trinkwassers und der Gesundheit der Bevölkerung.

Die Umweltallianz warnt eindringlich vor der pauschalen Übernahme von EU-Zulassungen. Die Schweiz würde sich in einem System verfangen, das Innovationen behindert und risikoarme Alternativen ausbremst.  

Low-Risk-Mittel: Innovation statt Rückschritt
Sowohl die Wirtschaftskommission des Nationalrates wie auch der Bundesrat verpassen mit ihren Vorschlägen die Chance, die Weichen für eine zukunftsfähige Agrarpolitik zu stellen. Statt Zulassungen pauschal zu übernehmen, bräuchte es klare Rahmenbedingungen für einen nachhaltigen und wirklich modernen Pflanzenschutz. Pflanzenschutzmittel mit geringem Risiko für Mensch und Umwelt – sogenannte Low-risk- und Biokontroll-Mittel – müssen schneller und vereinfacht zugelassen werden.

Die Schweiz braucht eine souveräne Zulassungsprüfung, die die Risiken für Biodiversität und menschliche Gesundheit ganzheitlich prüft. Nur so stehen umweltfreundliche und nachhaltige Mittel für die landwirtschaftliche Produktion rechtzeitig zur Verfügung. Eine solche Regelung fehlt bisher auch in der EU. Die Schweiz sollte hier vorangehen und sich als innovativer Produktionsstandort positionieren, indem sie ein beschleunigtes Zulassungsverfahren für umweltschonende Pflanzenschutzmittel etabliert. Damit würde die Innovationskraft der Schweiz genutzt, um den Einsatz umweltschonender Pflanzenschutzmittel aktiv zu fördern.

 

Kontakt:

WWF Schweiz: Jonas Schmid, Mediensprecher, jonas.schmid@wwf.ch, 079 241 60 57.

Birdlife Schweiz: Jonas Schälle, Projektleiter Landwirtschaft,  jonas.schaelle@birdlife.ch, 044 457 70 26

Pro Natura: Stefan Kunz, Leiter Politik und Internationales, stefan.kunz@pronatura.ch, 079 631 34 67