Chile: Schutz für Blauwale durch indigenes Schutzgebiet
Vor der Insel Guafo kommen jedes Frühjahr Hunderte von Blauwalen zusammen, um ihre Jungen aufzuziehen. Cristina Torres vom WWF Chile arbeitet an der Etablierung eines sogenannten indigenen Schutzgebiets rund um Guafo. Dort sollen die Mapuche wieder gemäss ihren Traditionen und im Einklang mit der Natur leben können. Dies kommt auch den Blauwalen und dem Klima zugute.
Cristina Torres arbeitet aktuell mit zehn Gemeinschaften der Mapuche zusammen, einer indigenen Volksgruppe, die unter anderem in den zentralen und südlichen Regionen Chiles lebt. Sie unterstützt sie dabei, die Region rund um die Insel Guafo im Golf von Corcovado, die auch für Blauwale sehr wichtig ist, besser zu schützen. Seit 2008 gibt es in Chile ein Gesetz, das es indigenen Gruppen ermöglicht, Gebiete, die sie traditionell bewohnen und nutzen, als indigenes Schutzgebiet zu deklarieren.
In diesen Gebieten steht die Erhaltung ihrer traditionellen Lebensweise im Vordergrund; dazu gehört der Schutz der Tiere und Pflanzen, die sie als Lebensgrundlage brauchen. Die Beantragung und Umsetzung eines solchen Gebietes ist harte Arbeit, wobei der WWF Chile die Mapuche unterstützt. Cristina und ihr Team liefern ihnen wissenschaftliche Informationen zum ökologischen und biologischen Wert des Gebiets, leisten Unterstützung bei der Erarbeitung des Managementplans und helfen bei der Kommunikation über digitale Medien.
Blauwal - der nächste Dinosaurier?
Auch das grösste Tier der Erde kann übersehen werden: Erst 2003 entdeckten chilenische Wissenschaftler, dass im Golf von Corcovado besonders viele Blauwale zu Hause sind. Den indigenen Gemeinschaften waren diese Mitbewohner schon seit Jahrhunderten bekannt. In der geschützten Bucht ziehen die Riesen ihre Jungen auf und legen sich die nötigen Fettreserven für ihre Wanderungen bis an den Äquator an. Schon seit den 1960er Jahren zählen die Unterwasser-Giganten auch zu den stark gefährdeten Arten.
Nahezu ausgerottet
Zwischen etwa 1904, dem Beginn der modernen Waljagd, und 1967 – dem Zeitpunkt, zu dem die Internationale Walfangkommission IWC ein Jagdverbot für Blauwale erliess, töteten die Jäger circa 330’000 bis 360'000 von ihnen. Und diese Zahlen beziehen sich nur auf die südliche Hemisphäre! Innerhalb von 60 Jahren wurden die Bestände auf weniger als 3 Prozent ihrer ursprünglichen Zahl dezimiert.
Ausbeutung der Blauwale
Aufgrund ihrer Grösse und ihren enormen Fettreserven, auch Blubber genannt, waren Blauwale eine beliebte Jagdart ab dem 17. Jahrhundert. Walfänger verkauften ihren Blubber und Körperteile an Lieferanten, die daraus verschiedene Materialien herstellten wie zum Beispiel Lampenöl, Kosmetika oder Lebensmittel. Da sich Technologie, Boote und Jagdausrüstung im Laufe der Jahrhunderte immer weiterentwickelten, stieg die Zahl der getöteten Wale stark an und liess die bestehenden Walpopulationen weiter schrumpfen, insbesondere die der Blauwalarten. Blauwale zählen zu den am stärksten bedrohten Walen, die Art gilt als «stark gefährdet». Die Weltnaturschutzunion IUCN schätzt den derzeitigen Bestand nur noch auf etwa 5’000 bis 15’000 Tiere.
Lebensraum unter Druck
Im Golf von Corcovado sind die Gefahren vielfältig. Die Meeressäuger werden vor allem von Kollisionen mit Schiffen bedroht. Der Lärm durch den Verkehr verwirrt die Wale zudem und beeinträchtigt ihr Orientierungsvermögen. Plastik im Meer bedroht Nahrungsketten: Tiere fressen Plastik und verhungern bei vollem Magen oder sie vergiften sich. Weitere Probleme gibt es durch Strangulationen oder anderen Verletzungen mit dem Müll. Auch die konventionellen Lachszuchten sind problematisch: Antibiotika und Düngemitteln belasten das Ökosystem vor der Küste. WWF Chile engagiert sich stark, diese Gefahren einzudämmen.
Langer Weg – erfreuliche Nachrichten
Seit 2005 kämpft der WWF für den Schutz der Blauwale vor der Küste Chiles. 2014 gab es einen ersten wichtigen Erfolg: Die chilenische Regierung richtete eine 87 500 Hektaren umfassende Meeresschutzzone im inneren Golf von Corcovado ein. Die beiden Gebiete Tic-Toc-Meerespark und das Meeres- und Küstenschutzgebiet Pitipalena entsprechen etwa der Grösse des Kantons Schwyz. In den Sommermonaten beheimatet die Küstenregion die grösste Blauwalpopulation der südlichen Halbkugel. Einzelne Wale wurden mit Sendern versehen. So konnte nachgewiesen werden, dass die Blauwale im Laufe der Jahreszeiten vom Süden Chiles bis nach Galapagos wandern. Derzeit arbeitet der WWF Chile mit einer Gruppe von Wissenschaftlern von der Universität von Concepción an einem akustischen Überwachungs- und Warnsystem. Dank der grosszügigen Unterstützung der Tessiner Stiftung «Blue Planet – Virginia Böger Stiftung X.X.» wurde dank beweglicher Unterwasser-Peilsender ein Frühwarnsystem getestet, das dem gesamten Seeverkehr meldet, wenn ein Wal in der Nähe ist. Wenn die Schiffe die Geschwindigkeit reduzieren, kann damit eine Kollision mit Walen vermieden werden. Zudem wird die akustische Belastung für die Tiere verringert.
Gemeinsam stark
Mit der Einrichtung des indigenen Schutzgebiets werden die Gefahren für die Blauwale und für alle anderen Meerestiere deutlich reduziert. Durch den Schutzstatus sind alle Beteiligten verpflichtet, das Gebiet sehr respektvoll zu nutzen. Bereits in der Beantragungsphase für den Schutzstatus konnten die Transporteure dafür gewonnen werden, freiwillig langsamer zu fahren. Die Marine und die indigene Bevölkerung haben die Situation im Blick.
Kume mongen – das heisst in der Sprache der Mapuche, im Einklang mit der Natur zu leben: Das wollen die indigenen Gemeinschaften mit ihrem Antrag auf ein Schutzgebiet erreichen. Aber es wird nicht nur ein Schutzgebiet für die Tiere und die Natur, sondern vor allem auch ein Ort, an dem die Mapuche wieder gemäss ihren Traditionen leben können. Gemeinsam mit den lokalen Fischern erarbeiten sie ein Nutzungskonzept, das auf Balance ausgerichtet ist: Nehmen, was man zum Überleben braucht, ohne dabei die Natur auszubeuten und über die Verhältnisse zu leben. Eine schöne Aussicht für dieses wunderbare Stück Natur und seine Bewohner.
Was Sie tun können
Damit die blauen Riesen auch kommenden Generationen erhalten bleiben, müssen jetzt effektive Schutzmassnahmen umgesetzt werden. Helfen Sie uns, den Schutz für die gigantischen Tiere und ihren Lebensraum auszuweiten?