
Tierarten erfolgreich schützen
Artenschutz bleibt ein schwieriges Geschäft: Man löscht ein einzelnes Feuer, während anderswo neue Brände ausbrechen. Erfolgsgeschichten sind deshalb Mangelware, aber es gibt sie durchaus.
Dieser Text erschien in einer längeren Version im WWF-Magazin 1/2025.
Ein Artikel von Susanna Petrone und Stefan Inderbitzin.
Dem globalen Artensterben zum Trotz gibt es auch Hoffnung: So wachsen heute bestimmte Tierpopulationen wieder. «Wir wissen, dass gezielte Massnahmen für einzelne Arten wirken», sagt René Kaspar, Artenschutzexperte des WWF Schweiz. Nur reiche es nicht aus, die vorhandenen Lebensräume einfach besser zu schützen. «Die Natur muss wieder mehr Raum bekommen, damit sich Arten und ihre Populationen erholen können», betont Kaspar. Deshalb sei es wichtig, Lebensräume aufzuwerten, wiederherzustellen und besser untereinander zu vernetzen. Und in einzelnen Fällen lassen sich Tierarten in angestammte Lebensräume zurückbringen. Klar ist: Für erfolgreichen Artenschutz gibt es nicht das eine Geheimrezept, aber bewährte Erfolgsfaktoren, an denen sich der WWF seit Jahrzehnten orientiert.
Wisent: Gemeinsam mit Partnern
Die Zusammenarbeit über Grenzen hinweg war beim Wisent sehr wichtig: 1927 war der Europäische Bison, wie er auch genannt wird, offiziell ausgestorben. Mit Zuchtprogrammen in Zoos, Wiederansiedelungen und Umsiedlungen ist das eindrucksvolle Tier heute wieder in zehn europäischen Ländern anzutreffen. Wobei viele Wisente noch in Schutzgebieten leben.
In der Schweiz leben einige Wisente probeweise auf einem eingezäunten Waldweidestück in Welschenrohr SO. Und in Suchy VD gibt es eine Zuchtstation. In Zukunft sollen Europäische Bisons auch in unserem Land wieder frei umherstreifen, doch den Plänen weht ein steifer Wind entgegen.
Ganz generell benötigen Auswilderungen von Tieren viel Zeit und sind deutlich teurer, als Arten und ihre Lebensräume rechtzeitig zu schützen. «Auswilderungen dürfen nur das letzte Mittel sein, um eine verschwundene Art in ihren Lebensraum zurückzubringen», macht Kaspar deshalb klar.
Tiger: Tigerschutz hilft anderen Arten & dem Klima
Den Tiger hat man in letzter Minute vor dem Aussterben in der Wildnis bewahrt. Nur noch in zehn Ländern leben heute Tiger in freier Wildbahn: Bangladesch, Bhutan, China, Indien, Indonesien, Malaysia, Myanmar, Nepal, Russland und Thailand. Vor etwa 100 Jahren durchstreiften um die 100 000 Tiger die Wälder Asiens. Bis 2010 war der Bestand auf 3200 Tiere geschrumpft, hauptsächlich wegen Wilderei und der Zerstörung der natürlichen Lebensräume.
Die jahrelangen Anstrengungen für Wälder und Schutzgebiete, aber auch der entschlossene Kampf gegen die Wilderei sind erfolgreich. Das Global Tiger Forum schätzte 2023 die Gesamtzahl der freilebenden Tiger auf rund 5500 Tiere.
Das Beispiel Tiger hat gezeigt, dass von den Schutzmassnahmen für einzelne Arten viele andere Tier- und Pflanzenarten im selben Gebiet profitieren. Im indischen Bundesstaat Karnataka wurde in den letzten Jahren die geschützte Fläche um einen Drittel erhöht, damit sich die rund 400 verbliebenen Tiger Karnatakas wieder vermehren können. Dies hilft den Asiatischen Elefanten, die dort leben. Und es schützt viele Gewässer, was nicht nur Tieren, sondern auch den Menschen zugutekommt. Sie benötigen Wasser für sich und die Landwirtschaft.
Im Bundesstaat Assam im Nordosten Indiens liegt das Manas-Tiger-Reservat. Zwei weitere Tierarten profitieren dort vom Tigerschutz: Die Barttrappe ist ein Vogel, der auszusterben droht. Ausserdem findet man hier die einzige lebensfähige Population des Zwergschweins – der seltensten Schweineart der Welt.
Der Tigerschutz in Indien nützt auch dem Klima: Seit man die bestehenden Schutzgebiete besser kontrolliert, hat die illegale Abholzung abgenommen. So liess sich die Freisetzung von 1 Million Tonnen CO2 vermeiden, rund 2,5 Prozent des jährlichen Ausstosses der Schweiz. Das zeigt, dass sich Artenschutz und Klima gegenseitig beeinflussen: Ein Gebiet mit hoher Artenvielfalt ist resilienter gegenüber den Folgen der Klimakrise, ein Gebiet mit gerodeten Wäldern hingegen leidet viel mehr unter der Klimaerhitzung.


Wisent (links) und indische Tigerfamilie (rechts)
Berggorillas: Einbezug der Bevölkerung
Eine andere Erfolgsgeschichte schreiben die Berggorillas im Virunga-Massiv, das zwischen der Demokratischen Republik Kongo, Uganda und Ruanda liegt: Man schätzt, dass ihr Bestand zwischen 2010 und 2016 jährlich um etwa drei Prozent zugenommen hat. Dafür gibt es verschiedene Gründe: Man hat Waldgebiete aufgeforstet sowie die Gorillagruppen dauernd überwacht und sie gut medizinisch versorgt. Das Engagement der lokalen Bevölkerung hat man gestärkt, indem man einen sanften Ökotourismus etablierte, was zu regelmässigen Einnahmen in der Region führte. Insgesamt leben heute wieder rund 1000 Berggorillas in Afrika.
Laubfrosch: Gewässerschutz ist zentral
Doch zurück in die Schweiz: 2005 war der Laubfrosch kurz davor, ganz aus unserem Land zu verschwinden. Hauptgrund dafür war die Trockenlegung von Mooren und die Kanalisierung von Bächen und Flüssen. Schutzmassnahmen bremsten den Rückgang: Mehrere Kantone legten Laichgewässer und Tümpel an oder renaturierten Bäche und Flüsse. Sie vernetzten Auenflächen und Feuchtgebiete miteinander, die als Lebensräume für den Laubfrosch wichtig sind. Davon profitierten neben dem Laubfrosch viele andere Tier- und Pflanzenarten. Inzwischen ist der Laubfrosch hierzulande nicht mehr unmittelbar vom Aussterben bedroht. Und im Aargauer Reusstal wachsen die Bestände wieder an.
Biber: Aktive Naturschützer:innen
Ganz ausgerottet wurde der Biber Anfang des 19. Jahrhunderts. Das grösste Nagetier der Schweiz wurde wegen seines Fells, seines Fleisches und des sogenannten Bibergeils gejagt. Der Lockstoff, mit dem Biber ihre Reviere markieren, wurde in der Medizin gegen Gicht und Krämpfe angewandt.
Ab den 1950er-Jahren siedelten Naturschützer:innen an mehreren Orten Biber aus anderen Ländern an. Inzwischen hat sich das Tier entlang der Flüsse und Bäche gut verbreitet, sodass man den Bestand auf über 4900 Tiere schätzt. WWF-Gewässerspezialist Ruedi Bösiger freut sich über die fleissigen Biber, die mit ihren Bauten Gewässer stauen und verändern: «Man sagt ihnen nach, sie seien die effizientesten Flussrenaturierer.»



Berggorilla-Baby (links), Biber (oben rechts) und Laubfrosch (unten links).
Bartgeier: Jahrzehntelanger Einsatz
Auch der einst ausgerottete Bartgeier fliegt wieder im Alpenraum. 2024 wurden 61 Wildbruten registriert. Damit hat das internationale Auswilderungsprogramm nach über dreissig Jahren ein wichtiges Etappenziel erreicht. In der Schweiz wildert die Stiftung Pro Bartgeier mit Unterstützung des WWF Jungvögel aus Zuchtstationen anderer Länder aus.
Insgesamt fliegen wieder über 350 Bartgeier majestätisch über den ganzen Alpenraum. «Trotz dieses Erfolgs bleibt die Situation für den grössten Vogel unseres Landes angespannt», sagt Daniel Hegglin, Geschäftsleiter der Stiftung. Zum einen sind die zahlreichen Kabel von Seil- und Transportbahnen für die Flugkünstler gefährlich. Auch müsse man bei den Windenergieanlagen die Auswirkungen auf alle Vögel und Fledermäuse genau beobachten. Zum anderen ist die genetische Vielfalt der Bartgeierpopulation gering. Deshalb wildert man nur noch Vögel aus seltenen Zuchtlinien aus.
Wolf: Politische Akzeptanz
Im optimalen Fall kehren Tiere wie der Wolf selber in angestammte Lebensräume zurück. Weil sie in freier Natur genügend Beutetiere finden und nicht mehr gnadenlos abgeschossen werden. Immerhin hat der Wolf während Jahrhunderten bei uns gelebt. Nun haben sich innert 30 Jahren rund 300 Wölfe in 32 Familienrudeln etabliert.
Gerade die erfolgreiche Wiedereinwanderung des Wolfes weist aber auf die Achillesferse des Artenschutzes hin: Trotz des strengen Schutzes bremst die Politik die natürliche Einwanderung nach dreissig Jahren. So hat der Bund erlaubt, die Wölfe präventiv abzuschiessen. Das führte in der jüngeren Vergangenheit zu Dutzenden von Abschüssen. 2024 wurden irrtümlich gar drei Luchse Opfer der überbordenden Jagd auf «den bösen Wolf».
Die politische Akzeptanz des Grossraubtieres sinkt, auch auf europäischer Ebene, wo man den Wolfsschutz gelockert hat. Was zeigt: Beim Artenschutz dauern Erfolgsgeschichten nur selten für ewig, vor allem wenn der politische Wind um 180 Grad dreht. Artenschutz bleibt deshalb eine Daueraufgabe. Oft ist sie komplex, vielschichtig und längst nicht immer erfolgreich.


Bartgeier (links) und Wolf (rechts)
Living Planet Report
Gemäss dem Living Planet Report 2024 des WWF ist die durchschnittliche Grösse der beobachteten Wildtierpopulationen um 73 Prozent zurückgegangen. Der Bericht belegt einen beispiellosen Artenverlust innert 50 Jahren. Um das globale Artensterben zu stoppen, braucht es mehr Anstrengungen. So muss die Gesamtfläche der Schutzgebiete deutlich zunehmen. Ziel ist es, ihren Anteil bis 2030 auf 30 Prozent der Land-, Wasser- und Meeresfläche zu erhöhen. Offiziell unterstützt die Schweiz dieses Ziel, ist aber selbst noch weit davon entfernt.
Ein Artikel aus dem WWF-Magazin
Dieser Artikel erschien im WWF-Magazin 1/2025. Ein exklusives Angebot für WWF-Mitglieder: Hier finden Sie Reportagen über die WWF-Projektarbeit vor Ort, Interviews mit Experten, Tipps für ein umweltbewusstes Verhalten im Alltag und Hintergrundwissen aus der Tier- und Pflanzenwelt.