Wirtschaft innerhalb der planetaren Grenzen
Die Klimakrise und der Verlust der Artenvielfalt drohen unsere natürliche Lebensgrundlage langfristig zu zerstören. Damit sich dieser fatale Trend stoppen lässt, braucht es einen grundlegenden Wandel der Gesellschaft. Besonders die Art und Weise, wie wir wirtschaften, muss sich weiterentwickeln. Wie aber könnte die Wirtschaft der Zukunft aussehen? Der WWF stellt sich diesen grossen Fragen und skizziert erste Antworten.
«Es muss sich grundsätzlich etwas ändern» ist eine Bemerkung, die oft fällt, wenn es in Gesprächen um Konflikte, unsere Wirtschaft, die Klimakrise oder den Biodiversitätsverlust geht. Exemplarisch dafür steht die Forderung nach einem Systemwechsel oder «System Change statt Climate Change». Diese begleitet die Proteste der Klimabewegung schon seit ihren Anfängen. Die Parole bringt die Sorge zum Ausdruck, dass die Gesellschaft in ihrer jetzigen Form nicht fit für die Herausforderungen unserer Zeit ist.
Sehr schnell wird in dieser Debatte auf die Wirtschaft gezeigt. Das zentrale Problem: unsere Art zu wirtschaften überschreitet durch enormen Ressourcenverbrauch und die dabei entstehenden Emissionen die Belastungsgrenzen unseres Planeten. Das heisst im Klartext, dass die aktuelle Praxis über kurz oder lang das Überleben der Menschen bedroht. Doch wie können wir aus dem Fingerzeigen heraus in eine bessere Zukunft steuern? Die Antwort liegt in einer Weiterentwicklung der Art und Weise, wie wir wirtschaften.
Ein zentraler Punkt: wir müssen davon wegkommen rein ökonomischen Kriterien wie das Bruttoinlandprodukt als «Mass aller Dinge» zu verstehen. Unsere Wirtschaft muss auch nach sozialen und ökologischen Gesichtspunkten beurteilt werden. Einen Rahmen für eine solche ausgedehnte Bewertung leisten beispielsweise die Ziele für nachhaltige Entwicklung der Uno. Sie stellen sicher, dass auch Faktoren wie Bildung, politische Partizipation oder Vermeidung von Umweltschäden als zentrale Bestandteile einer funktionierenden Wirtschaft angesehen werden. Dies mit dem Ziel, allen Menschen ein gutes Leben zu ermöglichen.
Zwei Schlüsselkonzepte für den Wandel: Planetare Grenzen und Donut-Ökonomie
Eine Beschreibung des angestrebten Wandels der Wirtschaft jenseits von Parolen und Schlagwörtern ist anspruchsvoll. Der WWF verwendet deshalb zwei etablierte Konzepte zu diesem Zweck: Das Konzept der planetaren Grenzen und die Donut-Ökonomie.
Das Konzept der planetaren Grenzen oder «planetary boundaries» zeigt die Belastungsgrenzen für neun weltweit lebensnotwendige Umweltgüter auf. Werden diese Grenzen langfristig und dauerhaft überschritten, ist ein sicheres Leben auf der Erde nicht mehr möglich. Neben der Klimakrise zählen unter anderem die Veränderung der Landnutzung, der Eintrag von Phosphor und Stickstoff in die Gewässer oder die Verfügbarkeit von Wasser zu den kritischen Grössen.
Als Zielrahmen für die zukünftige Wirtschaft dient dem WWF das Modell der Donut-Ökonomie. Es definiert erstens einen sogenannten Mindest-Wohlstand oder «social foundation» für alle Menschen. Dazu zählen neben ökonomischen Kriterien beispielsweise auch Faktoren wie Bildung und demokratische Mitsprache. Zweitens legt das Modell ein Maximum an zulässiger Umweltbelastung, englisch «ecological ceiling», fest. Diese Limiten orientieren sich am Konzept der planetaren Grenzen.
Grafik: Der Grundgedanke hinter dem Donut-Modell ist simpel: Eine zukunftsfähige Wirtschaft bewegt sich zwischen Mindest-Wohlstand und planetaren Grenzen (im hellgrünen Kreis). So soll garantiert werden, dass weder das soziale Minimum unterschritten noch das ökologische Maximum überschritten wird. Konkret heisst das, dass so viel Wirtschaftsleistung generiert werden muss, dass allen Menschen ein gewisser Mindest-Standard – ein «gutes» Leben» – ermöglicht wird. Gleichzeitig aber darf ein gewisses Mass an Ressourcennutzung nicht überschritten werden. Die generierte Wirtschaftsleistung soll maximal so hoch sein, dass wir die planetaren Grenzen dabei nicht überschreiten und Leben auf der Erde langfristig möglich bleibt.
Das Problem mit dem Wachstum
Die Sache mit dem Wachstum ist nicht schwarz-weiss. Aber im Angesicht der Klimakrise und der Endlichkeit vieler unersetzbarer und lebensnotwendiger Ressourcen ist der Wachstumsimperativ grundsätzlichen problematisch. Die Schwierigkeit ergibt sich aus folgenden Gründen:
- Jede wirtschaftliche Leistung (auch qualitativer Art) benötigt Ressourcen oder Energie.
- Jede Effizienzsteigerung gelangt an physikalische Grenzen.
Damit führt jedes Wachstum, spätestens dann, wenn das Effizienzpotenzial ausgeschöpft ist, zu einem Mehrverbrauch an Ressourcen. Deswegen müssen wir uns damit befassen, wie wir die Gesellschaft an eine Wirtschaft ohne Wachstum anpassen, besser zu früh als zu spät!
Warum nicht einfach auf technische Innovation setzen?
Ein Blick in die Geschichte zeigt, dass Effizienzsteigerungen nicht zu weniger Ressourcen- und Energieverbrauch geführt haben. Im Gegenteil, trotz massiver und kontinuierlicher Einsparungen auf der Produktionsseite ist der globale Ressourcenverbrauch stetig angestiegen. Die Lehre daraus: Effizienzsteigerung führt nicht automatisch zu einem schonenderen Umgang mit Ressourcen.
Auch wenn man nie genau weiss, wie die Zukunft sich entwickelt, spricht einiges dafür, dass diese Tendenz weiterhin bestehen bleibt. Einerseits sind der Effizienzsteigerung physikalische Limiten gesetzt. Andererseits steigt global gesehen sowohl die Bevölkerungszahl als auch der materielle Wohlstand weiterhin an. Diese beiden Faktoren drohen jegliche Einsparungen aufgrund von technischer Innovation sofort zu kompensieren.
Aufgrund dieser Ausgangslage hält der WWF es für unklug, darauf zu setzen, dass sich die Umweltprobleme allein durch technische Innovation lösen werden. Vielmehr braucht es Veränderungen der Rahmenbedingungen und des individuellen Verhaltens (Suffizienz).
Wachstum ohne Ressourcenverbrauch?
Immer wieder wird behauptet, dass in modernen Dienstleistungsgesellschaften Wachstum ohne erhöhten Ressourcenbedarf doch möglich sei. Ein Land, das einen Grossteil seiner Wirtschaftsleistung über Dienstleistungen wie Vermögensverwaltung generiert, kann auch bei sinkendem Ressourcenverbrauch wachsen, so die Überlegung. Man spricht in diesem Zusammenhang von einer Entkopplung von Wirtschaftswachstum und Ressourcenverbrauch.
Dabei geht oft vergessen, dass der Ressourcenverbrauch in der Regel nicht absolut reduziert wird. Die Gründe dafür sind vielfältig: So kommt es typischerweise zu einer Verlagerung des Ressourcenverbrauchs in andere Weltregionen oder zu erhöhtem Energiebedarf. Unter anderem deshalb sind diese Entkopplungserscheinungen lediglich relativer Natur. Damit die Umweltbelastung aber effektiv reduziert werden kann, braucht es eine absolute Entkopplung von Wirtschaftsleistung und Energie- und Ressourcenverbrauch.
Eine absolute Entkopplung wäre dann gegeben, wenn die globale Wirtschaftsleistung steigt, während der globale Energie- und Ressourcenverbrauch sinkt. Obwohl wünschenswert, ist ein solches Szenario kaum zu erwarten. Deshalb ist es höchste Zeit, auch andere Wirtschaftsmodelle ernsthaft zu diskutieren – insbesondere solche, die nicht auf Wachstum ausgelegt sind.
Drei Elemente einer zukunftsfähigen Wirtschaft
Weder das Konzept der planetaren Grenzen noch das Modell der Donut-Ökonomie sagen etwas darüber aus, welche Wege zum Ziel führen. Der WWF skizziert diesen Pfad über drei Elemente: technische Innovation, Massnahmen auf der Verhaltensebene sowie Massnahmen zur Sicherung wichtiger gesellschaftlicher Errungenschaften:
- Technische Innovation braucht es, um Energieeffizienz zu steigern und umweltfreundliche Produkte und Produktionsverfahren zu entwickeln. Dabei geht es nicht primär darum, ein Auto noch effizienter zu machen, sondern darum, die Mobilität insgesamt umweltfreundlicher zu gestalten.
- Suffizienz bedeutet, dass nur so viel produziert und konsumiert wird wie tatsächlich nötig. Hierbei geht es sowohl um veränderte politische und finanzielle Rahmenbedingungen als auch um Anpassungen im persönlichen Verhalten. Beides soll dazu beitragen, dass Effekte der Effizienzsteigerung nicht durch Mehrproduktion und Mehrkonsum zunichtegemacht werden.
- System-Innovation: Hierbei geht es im Wesentlichen um die Aspekte, welche im Donut-Modell unter «social foundation» zusammengefasst werden. Der Schwerpunkt des WWF liegt dabei auf der Frage, wie wir die Stabilität unserer Systeme zur sozialen Absicherung (in der Schweiz beispielsweise die Altersvorsorge oder die Invalidenversicherung) vom Wirtschaftswachstum entkoppeln können.
Basierend auf diesen drei Komponenten hat der WWF Schweiz elf Handlungsfelder definiert, in denen eine grundsätzliche Weiterentwicklung und Neuorientierung von Wirtschaft und Gesellschaft notwendig sind. Dazu zählen unter anderen:
Ein Überblick über alle 11 Handlungsfelder und weitere Informationen finden Sie im Whitepaper «Wege zu einer Wirtschaft innerhalb der planetaren Grenzen».
Das tut der WWF – Diskussion und Zusammenarbeit
Für den WWF ist klar: Um der Klimakrise und anderen akuten Herausforderungen unserer Zeit entgegenzutreten, müssen wir unser Wirtschaftssystem ändern. Auf unseren Kanälen und mit Gastbeiträgen in den Medien fördern wir deshalb das Wissen und die Meinungsbildung rund um einen sozioökonomischen Wandel. Mit unserem Projekt «Ressourcenbudgets» entwickeln wir Modelle zur Frage, wie lebensnotwendige und immer knapper werdende Ressourcen gerecht und wirtschaftlich sinnvoll auf die Menschen verteilt werden können.
Zudem setzen wir auf gezielte Zusammenarbeit mit wichtigen Akteuren innerhalb der Gesellschaft. Zum einen setzen wir uns dafür ein, dass neue Wirtschaftsmodelle in die Studienpläne an den Universitäten und Fachhochschulen Einzug finden. Deshalb haben wir ein Vortrags- und Unterrichtsangebot rund um eine «Wirtschaft innerhalb der planetaren Grenzen» für die Wirtschaftswissenschaften entwickelt.
Zusätzlich setzt sich der WWF für eine nachhaltige Finanzbranche ein. Gemeinsam mit Entscheidungsträgerinnen und -trägern aus Politik und Bankenwelt engagieren wir uns unter anderem für robuste Nachhaltigkeitskriterien. Insgesamt ist unser Ziel, die enorme Wirkungskraft der Finanzindustrie bewusst für die Förderung einer nachhaltigen Gesellschaft und Wirtschaft zu nutzen.
Ihr Kontakt beim WWF Schweiz
Was Sie tun können
Analog zu unserem dreiteiligen Modell können Sie auch persönlich auf verschiedenen Ebenen wirksam werden. Sie können etwa direkt dafür sorgen, dass Ihr Fussabdruck kleiner wird. Auf der Ebene der technischen Innovation und der systemischen Innovation ist es weniger leicht, als Privatperson direkt wirksam zu werden. Aber Sie können indirekt einen Beitrag leisten: Wählen Sie Politiker, die sich fürs Klima einsetzen, oder unterstützen Sie die Arbeit des WWF mit einer Spende.