
Klimapolitik: Aktuelles in Kürze
Hier thematisieren wir regelmässig aktuelle energie- und klimapolitische Herausforderungen und unsere Vorschläge für Energiezukunft und Dekarbonisierung. Kompakt, verständlich und mit unseren wichtigsten Forderungen an die nationale Politik.
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Klima & EnergieAusstieg aus dem Gas: Wann, wenn nicht jetzt.
Februar 2023: Etwas mehr als ein Jahr ist es her, seit Russland die Ukraine angegriffen hat. Der andauernde Krieg verursacht ungeheures Leid – und zeigt, wie fragil die Gasversorgung der Schweiz ist. Wie wir aus dieser Falle herauskommen und gleichzeitig grosse Schritte vorwärts beim Klimaschutz machen, skizzieren wir hier. Weitere Hintergrundinformationen dazu gibts im aktuellen Faktenblatt zum Thema Erdgas.
Das Wichtigste in Kürze:
- Erdgas spielt in der Schweiz eine wichtige Rolle – für die Heizung von Gebäuden und die Industrie. Der Erdgas-Verbrauch verharrt seit Jahren auf hohem Niveau und damit auch die CO2-Emissionen.
- Gas stammt oft aus Ländern, von denen wir uns nicht abhängig machen wollen.
- Die meisten Schweizer Gasversorger gehören der öffentlichen Hand. Damit wären die Bedingungen optimal, um die Gasverteilnetze über die nächsten 15 bis 20 Jahre zurückzubauen und schrittweise aus dem Erdgas auszusteigen.
- Obwohl die Lösungen für den Ausstieg vorhanden sind, passiert kaum etwas. Nun müssen vor allem Städte und Gemeinden – die Besitzer der Gasversorger – entschlossen handeln.
Entschlossenes Handeln bedeutet:
- Gemeinden schreiben den Versorgern in ihrem Besitz einen Ausstiegsplan inklusive Enddatum vor.
- Winterthur und Zürich machen es vor: Dort werden die Gasverteilnetze bis 2040 zurückgebaut. Im Kanton Basel-Stadt sogar schon bis 2037.
- Gemeinden revidieren ihren Energieplan, dies erleichtert den schrittweisen Rückbau der Gasverteilnetze. Der gleichzeitige Auf- und Ausbau von Wärmenetzen hilft dabei.
- Einwohner, Parteien und Verbände machen Druck, wenn die Stadt oder Gemeinde zögert, aktiv zu werden.
Aber Städte und Gemeinden sind nicht allein beim Abschied vom Erdgas. Kantone und Bund sind ebenso gefordert. Sie müssen ...
- kantonale Energiegesetze so anpassen und die MuKEn so aktualisieren, dass der Einbau fossiler Heizungen nur noch in Ausnahmefällen möglich ist. Der Rückbau der Gasnetze gelingt schneller, wenn Hausbesitzer für noch nicht amortisierte Gasheizungen mit dem Zeitwert entschädigt werden. Eine Studie im Auftrag des WWF zeigt, dass der vorzeitige Ersatz von fossilen Heizungen aus Ökobilanzsicht sinnvoll ist.
- Rahmenbedingungen auf Bundesebene so setzen, dass die Produktion von Biogas aus Hofdünger rasch ausgebaut und dieses aus Klimasicht optimal eingesetzt werden kann.
- den Entwurf des Gasversorgungsgesetzes überarbeiten, damit es den Abschied vom Erdgas auf wirtschaft-lich tragbare Art ermöglicht.
Und schliesslich liegt es an allen von uns:
- Am 18. Juni JA stimmen und das Klimaschutzgesetz annehmen. Denn dies erleichtert den Erdgas-Ausstieg: mit zusätzlichen Mitteln für den Ersatz fossiler Heizungen, die energetische Sanierung von Gebäuden und die Entwicklung von Technologien, um industrielle Prozesse unabhängig von fossilem Gas zu machen.
Grosse Gewinne durch raschen Gasausstieg
Ein sorgfältig geplanter und rascher Ausstieg aus fossilem Gas hat viele Vorteile, denn er ...
- reduziert geopolitische Abhängigkeiten,
- erhöht die Versorgungssicherheit, weil Importe durch erneuerbare Energie aus dem Inland ersetzt werden,
- hilft der Schweiz, ihren CO2-Ausstoss stark zu senken und ihre Klimaziele zu erreichen.
Das Trugbild von der klimaneutralen Gasversorgung
Doch vom geglückten Ausstieg aus dem Erdgas sind wir noch ein gutes Stück entfernt:
- Aktuell deckt es 15 Prozent des Schweizer Energiebedarfs. Zwei Drittel dieses Gases wärmen Wohnungen und Häuser von Millionen von Schweizerinnen und Schweizern, das dritte Drittel versorgt die Industrie mit Energie für Prozesse.
- 2019 hat Gas sogar Erdöl als wichtigsten Heizenergieträger abgelöst, und der Verbrauch bleibt hoch.
Doch es gibt positive Schritte: zum Beispiel die Mustervorschriften der Kantone im Energiebereich (MuKEn), die bei Neubauten und einem Heizungsersatz vorschreiben, dass die Heizenergie teilweise erneuerbar gewonnen wird. Einige Kantone haben gar ein De-facto-Verbot für neue fossile Heizungen beschlossen.
Gute Schritte, doch sie genügen nicht.
Als Besitzer der meisten Gasversorger hätten es Gemeinden und Städte in der Hand, dem Vorbild von Winterthur, Zürich und Basel-Stadt zu folgen und einen intelligent geplanten Rückbau der Gasverteilungsnetze anzuordnen – wie es auch das etablierte Prinzip «Klimavorbild öffentliche Hand» gebietet.
Aber die überwiegende Mehrheit der Gasversorger handelt, als gäbe es keine Klimakrise und kein Schweizer Netto-null-Ziel. Manche haben bis vor kurzem sogar Prämien bezahlt, wenn Hausbesitzer auf eine Gasheizung umgestiegen sind. Viele preisen ihren Kunden Produkte mit 100 Prozent Erdgas mehr oder weniger subtil als günstig und klimafreundlich an (weil Erdgas einen Viertel weniger Emissionen verursache als Heizöl). Ein kürzlich veröffentlichtes Benchmarking von EnergieSchweiz kommt zum Schluss: «Beim Gas fristen die Erneuerbaren ein Schattendasein», Grund dafür seien «schwache strategische Zielsetzungen». Vom gebotenen Rückbau der Netze kann keine Rede sein.
Die Gaswirtschaft bekennt sich zum Netto-null-Ziel 2050 und will es dank Biogas und synthetischen Gasen erreichen. So soll das gelieferte Gas bis 2030 zu 15 Prozent klimaneutral sein, bis 2040 zur Hälfte und zehn Jahre später vollständig. Wie dies funktionieren soll, haben die Gasversorger nicht schlüssig erklärt, die bisherigen Erfahrungen wecken grosse Zweifel.
Mangelware erneuerbare Gase
Knappes Gut Biogas:
Im Jahr 2022 lag der Anteil von Biogas im Schweizer Netz bei knapp acht Prozent – mehr als vier Fünftel davon importiert. Die inländische Produktion steigt nur langsam. Zwar gäbe es ein grösseres Potenzial, doch eine Reihe von Gründen verhindert dessen Realisierung. Mit den sich verschärfenden Klimagesetzen in der EU ist absehbar, dass die europäischen Länder künftig ihr Biogas selbst brauchen werden. Die Schweizer Gaswirtschaft hat diese Schwierigkeiten offenbar erkannt und das ursprüngliche Ziel von 30 Prozent Biogas-Anteil im Jahr 2030 stillschweigend halbiert. Biogas wird ein knappes Gut bleiben, selbst wenn ein Teil des Potenzials künftig ausgeschöpft wird – was dringend geboten ist. Denn es gibt grossen Bedarf für das wertvolle Biogas: in der Industrie oder für die Abdeckung der Spitzenlast in Wärmenetzen.
Knappes Gut synthetische Gase:
Synthetische Gase – Wasserstoff und Methan aus Sonne- und Windkraft – herstellen, und das Problem ist gelöst? Leider nein. Die Produktion dieser Gase ist teuer und verbraucht sehr viel Energie: Um ein Gebäude mit synthetischem Gas zu heizen, braucht es 6- bis 14-mal mehr erneuerbaren Strom, als wenn man dies mit einer Wärmepumpe tut. Darum schreibt das Bundesamt für Energie in einem Thesenpapier, Wasserstoff (H2) solle nur in Ausnahmefällen zum Heizen verwendet werden. Kurz: Synthetische Gase sind wie Biogas zu wertvoll, um profane Raumwärme zu erzeugen. Sie werden gebraucht, wo es keine Alternativen gibt: für den Schiffs- und Flugverkehr, für die Industrie und eventuell für den Schwerlastfernverkehr.
Bewährte Lösungen, um Erdgas zu ersetzen
Es gibt erprobte Technologien, um den Abschied von fossilem Gas zu schaffen. Die wichtigste ist die Wärmepumpe. Sie nutzt erneuerbaren Strom und kostenlose Wärme aus Boden oder Luft effizient, um unsere Häuser warmzuhalten. Ebenfalls einen Teil leisten Wärmenetze, die das grosse Potenzial an Abwärme aus der Industrie, an Wärme aus Gewässern, Biomasse und Tiefengeothermie nutzen. Solarthermie und in kleinerem Umfang Holzheizungen tragen auch etwas bei. Eine zunehmend bessere Isolation von Neubauten und die Sanierung von bestehenden Gebäuden senkt den Energieverbrauch und entlastet die Stromnetze.
Seit über zehn Jahren nimmt der Anteil Heizungen in der Schweiz zu, die mit erneuerbarer Energie betrieben werden. 2021 lag ihr Anteil in Neubauten bei über 90 Prozent, beim Heizungsersatz in Altbauten bei fast 60 Prozent. Dies zeigt: Solche Heizsysteme funktionieren und sie behaupten sich auf dem Markt – ihre Einsatzquote muss deshalb bei 100 Prozent liegen. Auch Wärmenetze haben sich bewährt, folgerichtig haben viele Gemeinden ihre Netze ausgebaut, viele weitere Projekte sind geplant.
Für Prozesse in der Industrie, die höhere Temperaturen brauchen, kommen Biogas, synthetische Brennstoffe, Holz oder Strom zum Einsatz.
Die Konsequenzen für das bestehende Gasnetz
Die Klimakrise verlangt eine rasche Dekarbonisierung der Wärmeerzeugung, die Lösungen dafür sind da – die Konsequenz: Das Gasverteilnetz in der Schweiz muss weitgehend zurückgebaut werden. Es mag einzelne Fälle geben, in denen der Einsatz von Biogas sinnvoll ist, zum Beispiel in eng bebauten historischen Ortskernen, die nicht mit Fernwärme erschlossen werden können und wo kein Platz für Wärmepumpen ist. Aber dafür braucht es nur kleine Restnetze. Auch für die Versorgung der Industrie mit Bio- und synthetischen Gasen und Wasserstoff braucht es spezifische Lösungen und kein engmaschiges Netz in der Fläche.
Weil die Bedingungen für die Produktion von Wasserstoff und synthetischen Gasen aus Sonne und Windkraft anderswo günstiger sind als in Europa, zeichnet sich ein globaler Handel ab. Vorbereitungen dafür laufen, zum Beispiel die Planung eines europäischen H2-Pipelinenetzes. Besonders für die Industrie ist es wichtig, dass die Schweiz daran Anschluss erhält. Aber auch dafür wird es das heutige engmaschige Gasnetz nicht mehr brauchen.
Die Erfahrungen jener Gasversorger, die den Rückbau begonnen haben, deuten auf grosse Risiken für zögernde Branchenmitglieder hin. Die Industriellen Werke Basel haben zum Beispiel das Kantonsparlament gewarnt, trotz des Rückbauhorizonts bis 2037 sei mit millionenschweren Abschreibungen auf Gasnetzinstallationen zu rechnen. Jeder Gasversorger, der den Rückbau seines Netzes noch nicht konkret plant, riskiert «stranded investments». Die Zeche werden die Eigentümer bezahlen, also Städte und Gemeinden.


Mit mehr Tempo schon 2035 zu sicherer Energieversorgung und mehr Klimaschutz
Januar 2023: Die russische Invasion der Ukraine und der damit verbundene Entscheid Europas, sich unabhängiger von russischem Öl und Gas zu machen, hat uns alle vor eine neue Realität gestellt. Auch wir haben deshalb gemeinsam mit unseren Partnern der Umweltallianz unsere Szenarien nochmals überprüft.
Dabei ist klar geworden, dass wir eine sichere Energieversorgung – die in Einklang mit Klima- und Artenschutz steht – nur erreichen können, wenn wir schneller handeln, als bisher geplant war. Bislang hat sich die Schweiz das Ziel gesetzt, bis 2050 klimaneutral zu werden. Die neue Realität zeigt uns, dass es mehr Tempo braucht. Dafür nötig ist ein schnellerer Ausstieg aus fossilen Energien. Dieser Ausstieg ist unerlässlich für den Klimaschutz und macht uns gleichzeitig schneller unabhängig von Importen und reduziert die nuklearen Risiken. Dafür muss die erneuerbare Energieproduktion bis 2035 massiv ausgebaut werden, ohne dabei unsere wertvollsten Biodiversitätsgebiete zu opfern. Mit dieser Forderung bestätigen wir die Position, die wir bereits nach der Reaktorkatastrophe in Fukushima als machbar vorgerechnet und nachdrücklich gefordert haben.
Wie eine Energiewende bis 2035 gelingen kann, zeigen Energie- und Klimaschutzfachleute der Umweltallianz in einem Gesamtkonzept. Dieses berücksichtigt zwei Dinge: die Transformation des Gesamtenergiesystems und spezifische Lösungen zur klimafreundlichen Energieerzeugung. Anhand von acht Faktenblättern zeigen wir unsere Ideen für eine rasche Energiewende auf, die gut fürs Klima ist und die Biodiversität schützt.
Zukunftsfähige Energiequellen: Drei tragende Säulen
Es sind komplexe Aufgaben, die es zu lösen gilt, und es wird vielfältige Technologien und massgeschneiderte Lösungen brauchen. Wichtig ist ein natur- und klimaverträglicher Mix, der sich ergänzt und das Gesamtsystem resilient macht. Wir empfehlen, die bestehende Säule Wasserkraft zu erhalten und umweltverträglich zu gestalten. Wichtig ist zudem, eine gleich starke Säule der Photovoltaik aufzubauen. Und von ebenso grosser Bedeutung ist die Säule der Effizienz – sie wird oft unterschätzt und hat doch ein riesiges Potenzial.
Wasserkraft erhalten
Schon jetzt ist das umwelt- und naturverträglich erschliessbare Potenzial der Wasserkraft hierzulande zu mehr als 95 Prozent ausgeschöpft Über 1300 Wasserkraftwerke produzierten im Jahr 2020 36,8 TWh Strom. Damit stammen etwa 60 Prozent des im Inland erzeugten Stroms aus Wasserkraft. Wenn bestehende Anlagen erneuert, erweitert oder verbessert werden, könnten noch bis zu 2 TWh zusätzliche Winterspeicherenergie gewonnen werden. In Zukunft werden sich mögliche Produktionssteigerungen und die dringend nötigen und gesetzlich verankerten minimalen Umweltanforderungen in Bezug auf Restwasser bis ins Jahr 2050 ungefähr die Waage halten. Die Wasserkraft bleibt als Stütze des Energiesystems zentral, weil sie flexibel und regulierbar ist und für ein stabiles Netz sorgt – sie muss aber naturverträglicher ausgestaltet sein.
Mehr Effizienz erreichen
In der Schweiz nutzen wir die produzierte Energie weder wirkungsvoll noch sparsam. Eine aktuelle Studie des Energy Journals zeigt, dass es die Schweiz in Sachen Effizienz unter 29 Ländern nur auf den vorletzten Platz schafft. Viel Energie wird schlicht verschwendet, weil Gebäude schlecht isoliert sind, Alternativen zu fossil betriebenen Heizungen und Fahrzeugen ungenutzt bleiben, weil Industrie- und Gewerbeunternehmen ihr Energiesparpotenzial nicht kennen oder nutzen oder weil Geräte im Normalbetrieb oder auf Stand-by belassen statt abgestellt werden. Fakt ist: Allein beim täglichen Stromverbrauch könnten Industrie und Privathaushalte ohne Qualitätseinbusse rund ein Drittel des heutigen Stromverbrauchs einsparen. Beim Energieverbrauch insgesamt ist das Potenzial noch grösser. In dem wir den Energiebedarf den optimieren, erreichen wir nicht nur unsere Klimaziele schneller, sondern mindern auch den Ausbaudruck bei den erneuerbaren Energien. Das wiederum kommt der Biodiversität zugute.
Die Kraft der Sonne stärker nutzen
Die Sonnenenergie wird neben der Wasserkraft zur wichtigsten Energiequelle: Wir können bis 2035 mit 30TWh pro Jahr zehn Mal mehr Solarstrom produzieren als heute. Und damit ist das Potenzial der Photovoltaik (PV) in der Schweiz noch nicht erschöpft. Nach Berechnungen des Bundesamts für Energie (BFE) und der Zürcher Hochschule für angewandte Wissenschaften (ZHAW) gibt es ein maximales Ausbaupotenzial von rund 82 TWh, das jährlich auf bereits bestehenden Gebäuden und Infrastrukturbauten produziert werden könnte. Das ist mit Abstand das grösste und umweltfreundlichste Ausbaupotenzial an erneuerbaren Energien. Fassadenanlagen
und Solaranlagen auf Infrastrukturen in sonnigeren Höhenlagen ermöglichen es auch, den Anteil der Winterstromproduktion zu erhöhen. Uns ist wichtig, dass bei allen Freiflächenanlagen, ob sie im Mittelland oder in alpinen Hochlagen geplant werden, trotz der bestehenden Dringlichkeit im Zubau der Schutz der Natur nicht ausser Acht gelassen wird. Es ist keine kluge Idee, schützenswerte Biodiversitätsgebiete und die Perlen der Schweizer Natur mit Schnellschüssen zu opfern. Die Klima- und die Biodiversitätskrise sind eng miteinander verbunden und können nur gemeinsam gelöst werden.


Reicht es, auf Freiwilligkeit zu setzen?
Wir nehmen wahr, dass immer mehr Menschen umdenken und bereit sind, klimafreundlich zu handeln. Mit freiwilligen Massnahmen von Einzelpersonen können die Treibhausgasemissionen der Schweiz um bis zu 20 Prozent reduziert werden. Freiwillige Massnahmen sind wichtig und zu begrüssen. Sie allein werden jedoch für die erforderliche Reduktion des CO2-Ausstosses um 100 Prozent nicht ausreichen. Dafür braucht es, in Ergänzung zur Freiwilligkeit, politischen Gestaltungswillen.
«Geben wir der Politik also ein klares Mandat. Machen wir gemeinsam deutlich, dass die Schweiz für den Schutz von Klima und Biodiversität steht. Stehen wir dafür ein, dass das Gesetz zur Energie- und Stromversorgung so revidiert wird, dass wir eine schnelle Energiewende schaffen und dabei die Biodiversität nicht aus den Augen verlieren. Und machen wir deutlich, dass es beim Referendum zur Gletscherinitiative nur eine richtige Entscheidung geben kann. Unsere Position dazu ist klar. Und ihre? »
Wie sicher bleibt die Versorgung?
Die Vorstellung von einem Schweizer Strommix mit einem substanziellen Anteil an Photovoltaik löst bei vielen die Besorgnis aus, dass die wetterabhängige solare Stromproduktion das bislang hohe Niveau der Versorgungssicherheit gefährden könnte. Doch diese Sorge ist unbegründet. Gerade im Winter hat die Schweiz mit der Speicherwasserkraft sehr viel flexible Kapazitäten zur Verfügung, um die Produktion aus Wind- und Solarenergie auszugleichen.
Wie stehen die Umweltverbände zu schnelleren Verfahren?
Das Konzept zur Sicheren Energieversorgung 2035 wurde von den Organisationen der Umweltallianz entwickelt. In diesem Zusammenschluss engagieren sich Pro Natura, Greenpeace, WWF, BirdLife, SES und VCS konstruktiv für Umwelt-, Klima- und Artenschutz. Sie begrüssen es, wenn Verfahren zur Bewilligung von Produktionsanlagen für erneuerbare Energien effizienter ausgestaltet werden. Das beschleunigt den für die Energiewende nötigen Ausbau. Damit dies gelingt, muss frühzeitig abgeklärt werden, ob sich die potenziellen Standorte für Wind, Wasserkraft und Fotovoltaikanlagen mit den Zielen des Biodiversitätsschutzes vereinbaren lassen. Der Ausbau erneuerbarer Energien soll in erster Linie dort vorangetrieben werden, wo dies rasch, effizient, mit hohen Produktionspotenzialen und gleichzeitig möglichst geringen ökologischen Auswirkungen möglich ist. Die Umweltverbände verstehen sich als Partner auf diesem Weg.
Energieeffizienz – der schlafende Riese der Energiewende
«Effizienz ist nicht alles – aber ohne Effizienz ist alles nichts.»

Juni 2022 «The first fuel» nennt es die Internationale Energieagentur, den ersten aller Energieträger – der schlafende Riese der Energiewende, sagen andere. Tatsache ist: Die sauberste Kilowattstunde ist jene, die wir nicht erzeugen müssen.
So stoppt die Politik die Energie-Verschwendung:
- Sie etabliert die Effizienz mittels Einsparverpflichtungen als Geschäftsfeld, das bewirtschaftet werden kann.
- Sie erhebt Betriebsoptimierung von technischen Anlagen zum Standard.
- Sie startet eine Offensive bei der Gebäudesanierung
- Sie ersetzt ineffiziente Anwendungen fossiler Energieträger mit Stromanwendungen
- Sie versteht das «Weniger» als Effizienz und fördert Kreislaufwirtschaft: Rethink,Reduce, Reuse, Repair, Recycle.
Energieeffizienz lohnt sich
Zum einen, weil die Dekarbonisierung von Strassenverkehr, Raumwärme und Warmwasser den Stromverbrauch voraussichtlich steigen lassen wird. Zum anderen, weil wir die aktuelle Übernutzung der Ökosysteme reduzieren, wenn wir für unseren Energiehunger weniger zusätzliche Wasserkraftwerke, Windräder und Holzheizungen benötigen.
Technisch machbar
Die Effizienzpotenziale in den verschiedenen Sektoren sind riesig. Die Technik allein schafft meist Effizienzgewinne von zwei bis drei Prozent pro Jahr. So verbraucht heute ein neues Wohngebäude etwa halb so viel Heizenergie wie vor 20 Jahren – ein Fortschritt von 2,5 Prozent pro Jahr. Das aufgestaute und ungenutzte Effizienzpotenzial beträgt je nach Anwendung sogar 30 bis 70 Prozent des Energieverbrauchs. Beim Strom entspricht das theoretische Sparpotenzial dem ganzen AKW-Park der Schweiz.
Weshalb Effizienz (noch) kein Selbstläufer ist
Neben Solarmodulen auf dem Hausdach und prestigeträchtigen Power-to-X-Pilotanlagen sind gedämmte Gebäudehüllen und hocheffiziente Umwälzpumpen kommunikativ nicht attraktiv. Energieeffizienz ist meist unsichtbar und deshalb wenig sexy für die Politik. Energie und Strom sind (oder waren bislang) zudem schlicht und einfach zu billig. Wenn sie teurer werden, landen die Kosten meistens bei jenen Nutzer:innen, die keinen Einfluss auf die grossen Energieverschwendungen nehmen können – also zum Beispiel bei den Mieter:innen, die nicht über die Qualität der Gebäudehülle entscheiden. Hinzu kommt, dass uns Menschen Einsparungen bei Energie häufig dazu verleiten, an anderer Stelle mehr zu verbrauchen: Das beim Heizen gesparte Geld wird zum Beispiel in eine Fernreise mit Flugzeug investiert. Dieser «Rebound-Effekt» frisst einen Teil der technisch möglichen Effizienzfortschritte auf. Deshalb sind grosse Effizienzgewinne wichtig, um den Energieverbrauch relevant zu senken.
1. Sie etabliert die Effizienz mittels Einsparverpflichtungen als Geschäftsfeld, das bewirtschaftet werden kann.
Dieses Instrumentwurde in einzelnen Gliedstaaten der USAvor rund 40 Jahren eingeführt. Mittlerweile wird es erfolgreich in vielen Ländern eingesetzt,darunter auch Österreich, Italien und Frankreich. In der Schweiz wird es auch von einzelnenstädtischen Energieversorgern, z.B. in Genf oder Zürich gebraucht.
2. Sie erhebt Betriebsoptimierung von technischen Anlagen zum Standard
Eine schnell wirksame und rentable Massnahme. Am schnellsten lässt sich Energie sparen, indem wir in den bestehenden Anlagen weniger Energie verschwenden. Zum Beispiel bei falschmontierten Wärmepumpen oder nicht funktionierenden Messfühlern. Zwar enthalten die MuKEn Vorschriften zur Betriebsoptimierung. Doch die Kantone haben diese, wenn überhaupt, nur zaghaft eingeführt.
3. Sie stösst eine Offensive bei der Gebäudesanierung an
Bei der Raumwärme gibt es dasgrösste Energiesparpotenzial. Doch der Gebäudebestand in der Schweiz wird so langsamsaniert, dass er erst in rund 100 Jahren einen akzeptablen energetischen Standard erreichenwürde. Deshalb braucht es eine Sanierungsoffensive. Die Kantone müssen ihreEnergiegesetze so anpassen, dass die Gebäudehüllen bei allen Sanierungsarbeiten dieMindeststandards für Wärmeschutz erfüllen. Ausserdem braucht es – wie in der EU geplant –Mindesteffizienzstandards, die sämtliche Gebäude in 10-15 Jahren zu erfüllen haben. HöhereZuschüsse aus dem Gebäudeprogramm und umfassende Finanzierungsangebote sollen beider Umsetzung helfen.
4. Sie ersetzt ineffiziente fossile Energieträger mit Stromanwendungen
Auch hier lässtsich viel Energie sparen. Der Motor eines Elektroautos weist beispielsweise einen Wirkungsgrad von 70-80 Prozent auf, derjenige eines Benziners liegt bei 20-25 Prozent. Dem dadurch künftig steigenden Stromverbrauch begegnen wir am wirksamsten durch Austauschvorschriften für die grössten Stromschleudern – Elektrowiderstandsheizungen. Ausserdem braucht es regelmässig verschärfte Effizienzstandards. Damit Geräte, die unnötig viel Strom brauchen, nicht mehr verkauft werden dürfen.
5. Sie versteht das «Weniger» als Effizienz und fördert Kreislaufwirtschaft
Rethink,Reduce, Reuse, Repair, Recycle.In der Schweiz braucht es dringend einen Umgang mit Konsum- und Investitionsgütern, welcher die planetaren Grenzen miteinbezieht. Welche Dinge brauchen wir zum Leben und welche, um glücklich und zufrieden zu sein? Wie können Produkte und Märkte gestaltet werden, damit Wiederverwendung zur Norm wird? Wenn wir diese Fragen klären, können wir auch dem Rebound-Effekt entgegenwirken. Die laufenden Arbeiten im Parlament zur Kreislaufwirtschaft sind eine wichtige Basis – die EU revidiert ebenfalls ihre Direktiven und die aktuell wieder hohen Rohstoffpreise helfen, dass innovative Geschäftsmodelle Fuss fassen. Wenn neben den Effizienzstandards auch effektive maximale CO2-Vorgaben für Produktion und Import von (Bau)-Materialien und Neuprodukten eingeführt werden, dann kann die Transformation gleichzeitig bei allen fünf «R» beschleunigt werden.
Effizienz ist nicht alles
Werden diese politischen Massnahmen umgesetzt, dann gelingt es uns, den heutigen Energiebedarf um mindestens ein Drittel zu verringern. Was wir dann immer noch brauchen, sind klima- und naturverträgliche Energiequellen für die verbleibenden zwei Drittel: Am erfolgversprechendsten ist ein rascher Ausbau der Photovoltaik. Denn Effizienz ist nicht alles – aber ohne Effizienz ist alles nichts.
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Ohne die Politik kein Solarboom
«Die Schweiz kann mit einem raschen Ausbau der Photovoltaik eine sichere und klimaverträgliche Energieversorgung gewährleisten. Das ist dringend notwendig.»

Februar 2022 Meldepflicht statt Baubewilligung für Solaranlagen auf Fassaden und steuerliche Anreize für PVanlagen bei Neubauten: Am 3. Februar präsentierte der Bundesrat seine Strategie für einen rascheren Ausbau der Solarenergie.
Die Stossrichtung ist auf jeden Fall zu begrüssen. Die Solarenergie ist in der Schweiz die Lösung Nummer eins für den umweltverträglichen Umbau der Energieversorgung. Doch wird damit das notwendige Ausbautempo erreicht? Welche Zubauziele gilt es zu setzen, um die Energiewende bis 2035 zu vollziehen? Und mit welchen Massnahmen kommen wir auf die Zielgerade? Eines ist sicher: Die Politik hat alle Schlüssel in der Hand, um aus diesem ersten Schritt einen Solarsprint zu machen.
Für die Schweiz sowohl ein no-brainer…
Das grosse Solarstrompotenzial in der Schweiz ist noch fast unangetastet. Das Bundesamt für Energie hat 2019 berechnet, dass das Solarstrompotenzial allein auf Schweizer Gebäuden jährlich 67 Terawattstunden (TWh) beträgt (50 TWh auf Dächern und 17 TWh an Fassaden). Würden wir es voll nutzen, entspräche dies 110 Prozent unseres heutigen Jahresstromverbrauchs. Hinzu kommen bestehende Infrastrukturen wie Lärmschutzwände und Parkplätze, die zur Solarstromerzeugung genutzt werden sollten. PVAnlagen auf Freiflächen sind demgegenüber nachrangig – gegen Pilotprojekte spricht jedoch nichts.
Solarenergie hilft gegen Winterstromlücke. Dabei ist wichtig, die Solaranlagen am richtigen Ort zu platzieren. Während eine Dachanlage in Bern im Frühling und Sommer am meisten Strom produziert, liefert eine Fassadenanlage am gleichen Ort bereits 45 Prozent des Stroms im Winter. Bei einer Fassadenanlage auf dem Jungfraujoch steigt der Anteil der Winterproduktion sogar auf die Hälfte. Sollte dieser Ausbau im Sommer zu Stromüberschüssen führen, können Speicher (Pumpspeicherkraftwerke, Akkus von Elektroautos und lokale Solarspeicher) den Strom für einige Stunden oder Tage zwischenlagern. Auch eine intelligente Nachfragesteuerung kann helfen. Weiter können Überschüsse für die Produktion von Wasserstoff und anderen synthetischen Energieträgern genutzt werden. Diese sind insbesondere für die Industrie und die Luftfahrt wertvoll. Hinzu kommt, dass Solarstrom eine gute Ökobilanz verweist und die Biodiversität schont. Zudem liefern PV-Anlagen günstigen Strom und Solar schafft Wertschöpfung (bis 15'000 Arbeitsplätze bis 2030).
… als auch eine Notwendigkeit
Die Schweiz kann mit einem raschen Ausbau der Photovoltaik eine sichere und klimaverträgliche Energieversorgung gewährleisten. Das ist dringend notwendig. Um unsere Lebensgrundlagen auf dieser Erde zu sichern, muss die Schweiz ihren Beitrag leisten und wirksame Klimaschutz-Massnahmen ergreifen. Die Energieversorgung kann und muss bis 2035 null Treibhausgasemissionen erreichen, gleichzeitig umweltverträglich werden und sicher bleiben. Was braucht es also? Bis 2035 soll die Solarenergie mindestens 30 TWh des jährlichen Strombedarfs der Schweiz decken. Das heisst rund 40 Prozent des geschätzten Strombedarfs der Schweiz im Jahr 2035 (74 TWh). Im Vergleich: Aktuell liegt der Solaranteil bei knapp 5 Prozent (2,6 TWh pro Jahr). Bis 2035 muss die Solarstromproduktion jedes Jahr um 2 TWh steigen. Das ist eine enorme Herausforderung (2021 lag der Zubau bei 0,6 TWh), aber möglich, wenn wir die Anstrengungen weiter erhöhen (2019 waren es bloss 0,3 TWh).
Woran hapert es?
Es ist klar, dass wir mehr Solarenergie brauchen. Was steht aktuell im Weg? Obwohl PV-Anlagen günstigeren Strom liefern als fast alle anderen neuen Kraftwerke, lohnen sie sich finanziell meist nicht für die Betreiber:innen:
1. Zurzeit setzt der Strommarkt allein keine Anreize, Solaranlagen oder andere Kraftwerke zu bauen. Denn PV-Anlagen liefern tendenziell alle zur gleichen Zeit Strom, was dazu führt, dass der erzielbare Erlös am Strommarkt tief liegt. Sie könnten sich daher am aktuellen Strommarkt ohne staatliche Finanzierungsinstrumente und/oder garantierte Rückliefertarife nicht selbst refinanzieren.
2. Die staatlichen Fördermittel reichen nicht aus - und das schreibt selbst der Bundesrat - um die Zubauziele zu erreichen.
3. Architekt:innen und Hausbesitzer:innen haben andere Sorgen und Interessen als auch noch Solarstrom zu produzieren. Natürlich auch, weil selbst mit den vom Bundesrat neu angekündigten Finanzierungsinstrumenten die Rendite bescheiden bleiben.
4. Hinzu kommt, dass es in der Gebäude- und Solarbranche an Fachkräfte fehlt. Dieses Problem wird jetzt angegangen.
In diesem Kontext kann der Zubau nicht dem Markt allein überlassen werden. Nun ist die Politik in der Pflicht. Mit der Revision des Energiegesetzes und des Stromversorgungsgesetzes hat das Parlament alle Schlüssel in der Hand, um die Solarenergie im grossen Still voranzutreiben.
1. Vorgaben für Hauseigentümer:innen, geeignete Dach- und Fassadenflächen solaraktiv zu gestalten
Für alle bestehenden Gebäude sollte vorgeschrieben werden, solargeeignete Dachflächen bis zum Jahr 2035 vollständig zur Solarenergienutzung einzurichten, sofern dies technisch, ökonomisch und ästhetisch vertretbar ist.
2. Kostendeckende Finanzierung gewährleisten
Der Rückliefertarif des Netzbetreibers und ergänzende staatliche Förderprogramme müssen über die Lebensdauer einer Solaranlage ihre Refinanzierung (inkl. angemessene Verzinsung des eingesetzten Kapitals) sicherstellen.
3. Zulassung ausschliesslich von solaraktiven Bauteilen
Alternativ zu einer Solarpflicht für Bauherren und Hauseigentümer:innen kann die Solarstromproduktion über die Zulassung von Bauteilen beschleunigt werden: Es werden künftig ausschliesslich Bauteile (für Dach, Fassade, Brüstungen/Geländer etc.) zugelassen, die solaraktiv sind – also Solarstrom und/oder -wärme produzieren. Ein erfreulicher Nebeneffekt dieses Instruments: Neben dem Markt für Solarmodule entstehen Angebot und Nachfrage für industriell vorgefertigte solaraktive Bauteile, die besonders kostengünstig eingesetzt werden und ästhetisch ansprechend sind.
In den letzten Jahren hat die Schweiz erhebliche Summen ausgegeben, um die Wasserkraft auszubauen. Auch die Atomkraftwerke wären ohne staatliche Unterstützung nie entstanden. Nun gilt es, den Rahmen zu setzen und die notwendigen Mittel dafür einzusetzen, die Kraft der Sonne auszunutzen. Dieser Ausbau ist selbstverständlich, notwendig und realistisch.


Biodiversitätsschutz und sichere Stromversorgung gehen Hand in Hand
«In konstruktivem Dialog zwischen den Interessensgruppen sind tragfähige Lösungen möglich, ohne diese letzten Naturjuwelen zu opfern.»
Januar 2022 Oft wird behauptet, das Scheitern neuer Wasserkraftwerke verhindere die Energiewende. Diese Behauptung blendet zwei Punkte völlig aus: Einerseits wie klein das Ausbaupotenzial bei der Wasserkraft noch ist. Und andererseits, dass es zahlreiche Beispiele gibt, wo sich Umweltschützer und Kraftwerksbetreiber in Verhandlungen einigen konnten. Mit dem Runden Tisch Wasserkraft wurde dieser Verhandlungsprozess zum ersten Mal erfolgreich auf die nationale Ebene gehoben.
Kantonskonferenzen, Energiebetreiber und Umweltverbände haben auf der Grundlage von energiewirtschaftlichen und Biodiversitäts- und Landschaftskriterien 15 Projekte zur vertieften Prüfung empfohlen. Diese erlauben es, gezielt die steuerbare Winterproduktion der Wasserkraft um bis zu 2 TWh zu steigern und damit die Versorgungssicherheit im Winter zu stärken.
Dieser Kompromiss gelang, ohne die Bestimmungen zum Schutz der Biodiversität aufzuweichen, insbesondere ohne Abstriche beim gesetzlichen Schutz der Biotope von nationaler Bedeutung oder bei angemessenen Restwassermengen. Ganz im Gegenteil: Die konsequente Umsetzung und Einhaltung dieser Schutzbestimmungen war ein Kernelement des Kompromisses. Wird die Absichtserklärung entsprechend dem positiven Geist der Verhandlungen auch umgesetzt, kann unter dem Strich sogar die Natur gewinnen.
Gezielter Ausbau mit Berücksichtigung von Schutz & Nutzen
Einerseits wird der Ausbau gezielt auf benötigte Leistungen für die Energiewende, die Winterspeicherenergie, sowie primär auf bereits vorbelastete Standorte fokussiert: Die Erhöhung bestehender Stauseen soll gegenüber Ersteingriffen in wertvolle Naturräume priorisiert werden. Gefördert werden sollen Anlagen, welche die Beeinträchtigung von Natur- und Landschaft je produzierter steuerbarer Winterspeicherenergie minimieren.
Andererseits wird empfohlen, den geplanten Ausbau der Winterspeicherproduktion in umfassende Massnahmen zum Schutz der Natur und Landschaft einzubetten. Unter anderem sollen
- die übergeordneten Energieplanungen der Kantone Schutz und Nutzen, Biodiversitätsschutz und Stromversorgung gleichwertig berücksichtigen. Dies erleichtert dann gute Lösungen auf Projektebene zu finden.
- die trotz allem durch den Ausbau entstehenden Schäden durch Ausgleichsmassnahmen abgemildert werden, die einen Mehrwert für Natur und Landschaft erzielen.
1. Sanierung der Wasserkraft ausreichend finanzieren
Alle Beteiligten am Runden Tisch waren sich einig, dass die finanziellen Mittel für die ökologische Sanierung bestehender Wasserkraftanlagen so rasch als möglich erhöht werden sollen. Die Sanierung ist zentral für Versorgungssicherheit und Biodiversität, denn
- sie ermöglicht die Produktion über die laufenden Konzessionen hinaus zu erhalten. Nur sanierte Anlagen erfüllen das Ziel einer umweltverträglichen Energieversorgung, sowie Minimalvorgaben nationaler Gesetze und internationaler Umweltstandards und bleiben somit langfristig wettbewerbsfähig.
- Nur so können Tieren und Pflanzen in und an den Gewässern langfristig überleben: In und an den Gewässern geht es der Biodiversität besonders schlecht. Weniger als fünf Prozent der Schweizer Gewässer gelten als intakt. Zwei Drittel der heimischen Fischarten sind gefährdet oder ausgestorben. Auch wegen der starken Wasserkraftnutzung. An über 1000 Anlagen muss deswegen die Fischwanderung wiederhergestellt, oder die tägliche Flut/Ebbe im Takt der Stromproduktion (Schwall-Sunk) auf ein erträgliches Mass reduziert werden.
2. Das Herz der Schweizer Biodiversität konsequent schützen
Die Beteiligten empfehlen die bestehenden Schutzbestimmungen, insbesondere für Restwasser und den Schutz der Biotope von nationaler Bedeutung, konsequent umzusetzen und einzuhalten. Ein klarer Auftrag, das pulsierende Herz der Biodiversität der Schweiz zu schützen.
Gebiete wie Val Roseg, Zinal, Maderanertal, Greina oder Rheinschlucht auch für die kommenden Generationen zu erhalten macht Sinn, denn
- Sie sind die letzten verbleibenden Biodiversitäts-Hotspots der Schweiz: Obwohl sie gerade mal 2.2 Prozent der Landesfläche einnehmen, sind sie wichtiger Lebens- und Rückzugsraum für über 1060 bedrohte Arten.
- Sie zu erhalten, aufzuwerten, und zu vernetzen, ist einer der Schlüssel, um dem fortschreitenden Verlust der Biodiversität zu begegnen: Dieser wird vor allem vom Verschwinden natürlicher Lebensräume verursacht. Gerade bei den Biotopen ist dringendes Handeln angezeigt: So gingen etwa seit 1850 bereits 90 Prozent der Auenfläche in der Schweiz verloren.
- sie bieten uns allen einen einzigartigen Raum, um Freizeit und Natur zu geniessen und uns vom stressigen Alltag zu erholen. Sie stiften regionale Identität, und werden touristisch rege genutzt.
Der Runde Tisch Wasserkraft zeigt exemplarisch: In konstruktivem Dialog zwischen den Interessensgruppen sind tragfähige Lösungen möglich, ohne diese letzten Naturjuwelen zu opfern. Versorgungssicherheit, Klimaschutz und Naturschutz können Hand in Hand gehen. Die Politik steht in der Verantwortung, massgeschneiderte Lösungen zu entwickeln, welche allen drei Zielen gerecht werden. Dafür steht auch der WWF.
3. Effizienz und Solarenergie sind die Hauptpfeiler der Energiewende
Diese gemeinsame Lösung für den Zubau der Wasserkraft ist nur ein Schritt auf dem Weg hin zu einer sicheren, erneuerbaren, umweltverträglichen Stromversorgung. Das Potenzial bei der Wasserkraft ist grösstenteils erschöpft. Matchentscheidend für die Energiewende sind daher die Reduktion der Energieverschwendung und der rasche Zubau der Photovoltaik.
Das Einsparen von Energie macht gemäss Energieperspektiven 2050+ des Bundes rund 50% der Lösung aus. Und beim Zubau der Photovoltaik liegt das Potenzial alleine auf Dächern und an Fassaden bei 67 TWh. Dass hier die grossen ungenutzten Potenziale liegen, zeigt auch eine 2021 veröffentlichte Studie von Greenpeace.


Droht eine Stromlücke in der Schweiz?
«Die Schweiz verschwendet immer noch viel zu viel Strom. Daher braucht es griffige Instrumente für Energieeffizienz, wie sie andere Länder längst kennen.»

Dezember 2021 Jedes Jahr, wenn der Winter naht, malen Interessensvertreter das Schreckensszenario des totalen Stromausfalls an die Wand. Der Begriff wurde vor über 40 Jahren erfunden, um den Bau weiterer Atomkraftwerke mehrheitsfähig zu machen. Und heute? Richtig ist, dass die zukünftige Stromversorgung vor grossen Herausforderungen steht: Erstens, weil der Stromverbrauch aufgrund neuer Stromanwendungen wie Wärmepumpen und Elektromobile tendenziell zunehmen wird. Zweitens, weil die alten AKWs nicht nur in der Schweiz rückgebaut werden. Und drittens, weil die Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien weniger planbar ist, da sie teilweise vom Wetter abhängt. Ist also eine Strommangellage in naher Zukunft unausweichlich? Oder eher: Wie können wir durch Stromeffizienz und erneuerbare Erzeugung dazu beitragen, dass die Netzstabilität und somit auch die Versorgungsicherheit gewährleistet bleibt?
Wo stehen wir heute?
1. Die Schweiz hat optimale Voraussetzungen für die Energiewende Einer der europaweit besten Startplätze im Rennen zu einer 100 Prozent klima- und naturverträglichen Energieversorgung hat die Schweiz. Grund dafür: Die Schweiz ist in Europa das Land mit der besten internationalen Stromnetz-Anbindung. Und sie verfügt im internationalen Vergleich über einen sehr hohen Anteil an steuerbarer Wasserkraft mit Speicherkraftwerken, welche jede Leistungsspitze meistern können.
2. Stromlücke in der Schweiz hätte Auswirkungen im Ausland Seit dem Scheitern des Rahmenabkommens mit der EU befürchten manche, die EU würde der Schweiz den Stromhahn zudrehen, sobald es eng wird. Aber: Die Schweiz ist nicht bloss von der EU abhängig, sondern die Nachbarländer auch von der Schweiz. Wenn der Strom bei uns ausfällt, fällt das Licht ziemlich sicher auch in Nachbarregionen aus. Burgund, Norditalien oder Baden-Württemberg könnten beispielsweise davon betroffen sein. Daran haben die Nachbarländer sicher kein Interesse. Daher wird die EU die Schweiz wohl kaum so weit vom europäischen Stromnetz abhängen, dass dadurch in EU-Mitgliedsstaaten selbst ein Blackout droht.
3. Europa hat ein Interesse an Winterstrom-Exporten in die Schweiz Im für die Stromversorgung wichtigen Nachbarland Deutschland gibt es jetzt schon mehr sauberen Strom im Winter als im Sommer! Und bei starken Windverhältnissen werden die Stromüberschüsse noch so gern in die zahlungskräftige Schweiz exportiert. Nicht zuletzt profitieren die Nachbarländer davon, dass die zahlreichen Schweizer (Pump-)Speicherkraftwerke grenzüberschreitend Schwankungen bei Stromangebot und -nachfrage ausgleichen können. Trotzdem können wir uns nicht zurücklehnen und allein auf die EU vertrauen. Denn die geplanten Stromautobahnen, die die grossen Windstrommengen von der Nordsee nach Süddeutschland und darüber hinaus transportieren sollen, werden nur langsam realisiert. Und natürlich muss sich die Schweiz während Dunkelflauten (europaweit wenig Wind und zumindest nachts keine Sonne) auch über längere Zeit vollständig selber versorgen können.
Wie erreichen wir eine umweltverträgliche und sichere Stromversorgung?
Deshalb muss die Schweiz ihre Hausaufgaben machen und die Versorgungssicherheit unter Einhaltung von Klima- und Naturschutz garantieren.
1. Stromanwendungen effizienter machen
Die Schweiz verschwendet immer noch viel zu viel Strom. Daher braucht es griffige Instrumente für Energieeffizienz, wie sie andere Länder längst kennen. Denn jede Kilowattstunde, die wir (v. a. im Winter) nicht brauchen, verringert das Risiko einer Strommangellage und den Importbedarf.
2. Die im Inland produzierte Strommenge deutlich steigern und absichern
a. Insbesondere der Zubau von Photovoltaik-Anlagen muss massiv beschleunigt werden. Die für Dekarbonisierung und Atomausstieg notwendige Vervierfachung der Zubau-Geschwindigkeit kann via Mini-Reformen à la PaIV Girod und Mantelerlass Bundesrat keinesfalls erreicht werden.
b. Die bestehende Wasserkraft muss erhalten und fit fürs 21. Jahrhundert gemacht werden. Der Sanierungsstau muss behoben und die Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben im Bereich Gewässerschutz sichergestellt werden. Wasserkraftwerke, die nicht neu konzessioniert werden können, weil sie das Gewässerschutzgesetz verletzen, können wir uns nicht leisten. Deshalb muss der Sanierungsfonds dringend aufgestockt werden.
3. Bestehende Speicherseen in den Dienst der Versorgungssicherheit stellen
Die rund 8 TWh an gespeicherter Wasserkraft sollten in den Dienst der Versorgungssicherheit gestellt werden: 8 TWh entsprechen der Strommenge, welche alle Kernkraftwerke zusammen in 16 Wochen im Winter produzieren – mehr als der halbe Winter wäre also beim heutigen Stromverbrauch abgedeckt. Die vom Bundesrat vorgeschlagene Speicherreserve ist ein erster Schritt und kann bedarfsgerecht weiter ausgebaut werden.
4. Swissgrid muss besser auf die bestehende Kraftwerksinfrastruktur zugreifen
Wenn trotz riesiger Leistungsreserven und Speicherseen das Netz nicht stabil betrieben werden kann, muss Swissgrid besser auf die bestehende Kraftwerksinfrastruktur zugreifen dürfen. Ausserdem ist die Netzarchitektur rascher auf die neue Welt der dezentraleren Energieerzeugung anzupassen.
5. Kooperation mit Nachbarländern weiterführen
Schliesslich muss mit unseren Nachbarn sichergestellt werden, dass der Strom in den produktionsstarken europäischen Windwochen weiterhin auch in die Schweiz fliesst – im Interesse aller Beteiligten.


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